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Starke Institutionen und eine gute Politik: Auf diesen beiden Pfeilern ruht nach Ansicht Romano Prodis die europäische Union. Doch was die Institutionen anbelangt, so hat die EU mit dem «Nein» der Iren zum Vertrag von Lissabon dieses Jahr einen Rückschlag erlitten. Den zweiten nach dem Scheitern des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005.
Damit sind für Prodi wichtige Reformen blockiert, die die EU dringend benötigt, will sie die selber definierte Rolle auf der Weltbühne wirklich ausfüllen können. Der Vertrag von Lissabon würde insbesondere ermöglichen, dass die Mitgliedsstaaten über mehr Politikbereiche als heute mit qualifiziertem Mehr entscheiden könnten. Zudem soll damit die Rolle des Parlaments gestärkt werden und das Amt eines Präsidenten des Europäischen Rates geschaffen werden. Insgesamt soll die EU entscheidungs- und handlungsfähiger werden.
Kann Europa die Integration nicht vertiefen und auf der Weltbühne nicht geeinter auftreten, so droht ihm in Prodis Augen ein Bedeutungsverlust. Zum Beispiel gelinge es Europa nicht, den Abstand zu den USA in der Forschung und Entwicklung zu verringern. Das Gegenteil sei der Fall, erklärte Prodi.
Prodi zeigte sich deshalb zutiefst überzeugt, dass die europäischen Staaten nur gemeinsam die Chance haben, im Chor der bisherigen und zukünftigen Grossmächte ihre Stimme wirkungsvoll zu erheben: «Wenn wir zusammenhalten, sind wir in vielen Bereichen die bedeutendste Einheit in der Welt.» Umso mehr sieht er Europa durch die gegenwärtige Blockade in seinen eigentlichen Möglichkeiten massiv eingeschränkt.
«Wir können uns keine weitere Lähmung leisten», meinte Prodi. Darum muss für ihn der Ratifizierungsprozess des Lissabonner Vertrags weitergehen. «Wir müssen uns von der Einstimmigkeit verabschieden», sagte Prodi. «Es kann nicht sein, dass einige Hunderttausend Wählerinnen und Wähler eine halbe Milliarde Menschen blockieren.»
Diejenigen Länder, die den Vertrag ratifizieren, müssen eine politische Lösung finden, wie mit den anderen Ländern umzugehen ist. Das ist, so Prodi, nichts Neues: Auch beim Euro und bei Schengen machen nicht alle Länder mit. Dabei dürfe man auch keine Angst davor haben, dass sich einzelne Länder aus der EU zurückziehen könnten, sagte Prodi.
Auf eine Rückfrage aus dem Publikum, welche Länder seiner Ansicht nach aussteigen könnten, meinte er dezidiert: «Kein einziges.» Hätten die Iren wählen müssen zwischen dem Vertrag von Lissabon und dem Austritt aus der EU, dann wäre das Resultat anders herausgekommen, zeigte sich Prodi überzeugt.
Für Prodi steckt Europa aber nicht nur in einer institutionellen Krise, auch die europäischen Ideale sieht er derzeit als geschwächt an. Ein Grund dafür ist – paradoxerweise – der Erfolg der EU selber. Der Friede zwischen den europäischen Ländern sei für die heutige junge Generation keine Errungenschaft mehr. Umso bedauernswerter sei es, dass die EU nicht gewagt habe, sich mit der geplanten Verfassung auch eine Hymne und eine Flagge zu geben. «Das ist, als würde man den Italienern die Fussball-Nationalmannschaft wegnehmen.»
Unverständlich und falsch ist für ihn auch, dass die Europäischen Staaten im Bemühen, das EU-Budget zu kürzen, gerade beim symbolträchtigen studentischen Austauschprogramm ERASMUS ansetzten. Dieser Austausch würde es jungen Menschen erlauben, Europa kennen zu lernen und daraus die Begeisterung für Europa wieder in ihre Länder zurückzutragen.
Welche Rolle er für die Schweiz in Europa sehe, wollte der Zürcher Ständerat und Professor Felix Gutzwiller von Prodi wissen. Die Schweiz werde nach Europa kommen – aber spät, so Prodis Einschätzung. Denn im Vergleich zu den Staaten des ehemaligen Ostblocks, die rasch beigetreten sind, habe die Schweiz bei einem Beitritt nicht nur viel zu gewinnen, sondern müsste auch auf einiges verzichten. Dennoch: «Dieses Loch mitten in Europa hält die Phantasie auf Trab.»