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Herr Fischer, Sie wurden 1985, 38-jährig, als Ordinarius für Englische Philologie nach Zürich berufen. Was hat Sie damals dazu bewogen eine akademische Karriere anzustreben?
Andreas Fischer: Meine akademische Karriere war ursprünglich nicht geplant, erscheint im Rückblick aber als sehr zielbewusst. Eigentlich wollte ich Mittelschullehrer werden. Bereits während der Studienzeit hatte ich ein halbes Lehrerpensum an einer Schule und rechnete damit, eine Stelle als Lehrer anzutreten. Ich gehörte zur letzten Generation an der Universität Basel, die noch direkt doktorieren konnte, und promovierte 1975 mit 28 Jahren. Nach der Promotion erhielt ich Angebote von zwei Rektoren, gleichzeitig wurden mir zwei Assistenzstellen angeboten – das waren die goldenen Zeiten. Entgegen meiner sonst zurückhaltenden Natur entschied ich mich für eine befristete Assistenzstelle in englischer Sprachwissenschaft an der Universität Basel. Ich sagte mir damals: Wenn du dich für den unsichereren Weg entscheidest, machst du auch etwas daraus, und verband meine Assistenz mit einem Habilitationsprojekt, das ich 1981 abschloss. Danach war ich Privatdozent, hatte eine Stelle am Kantonalen Lehrerseminar Basel und unterrichtete Fachdidaktik. Gleichzeitig bewarb ich mich um einen Lehrstuhl und ging 1984/85 als Visiting Professor in die USA. Dort erhielt ich den Ruf nach Zürich.
Sie wurden relativ jung Professor. Was waren die Voraussetzungen, um in den 1980er-Jahren zügig akademische Karriere zu machen?
Fischer: Es waren grundsätzlich die gleichen, die auch heute noch gefragt sind: die fachliche Qualifikation, eine zügig erreichte Promotion und Habilitation sowie eine ausgewiesene Publikationsliste. Daneben benötigt man aber auch Glück und Geduld. Man muss zur rechten Zeit am rechten Ort sein – das ist nicht immer der Fall. Und man muss mobil sein. Bei mir hätte die erste Stelle auch eine C3-Professur in Essen sein können. Was man hinzufügen kann: Ich wurde in einer Zeit akademisch sozialisiert, in der der Druck zu publizieren noch nicht so gross war wie heute. Ich konnte damals an meiner Habilitation schreiben, ohne gleichzeitig Artikel zum selben Thema zu veröffentlichen, was sehr zeitaufwändig ist. Dies erlaubte mir, neben der Arbeit an der Habilitation zu unterrichten. Heute ist das anders: Wer eine akademische Karriere anstrebt, muss sich voll und ganz darauf konzentrieren können.
Wie funktionierte damals die Nachwuchsförderung, wurden Sie auch gefördert?
Fischer: Jein, mein akademischer Lehrer war ein Konferenzmuffel und hat eher wenig publiziert. Er drängte auch mich nicht zum Publizieren. Ich besuchte aus eigenem Antrieb Konferenzen und hielt Vorträge. Karriereförderung war kein grosses Thema. Ich hatte allerdings eine Vollzeit-Assistenzstelle; die heute in Zürich üblichen Teilzeitstellen gab es damals nicht. Das Englische Seminar in Basel hat mich gefördert, indem ich nach Ablauf der Assistenz als Privatdozent weiterhin Lehraufträge erhielt. Das war nicht selbstverständlich.
War der akademische Karriereweg damals einfacher als heute?
Fischer: Die Bedingungen für Assistierende sind eigentlich besser geworden, auch wenn immer wieder mal über die administrative Belastung geklagt wird. In Zürich gibt es etwa den Forschungskredit, der es ermöglicht, sich für eine gewisse Zeit ganz der Forschung zu widmen. Junge Forschende werden heute auch viel mehr dazu ermuntert, sich an Konferenzen bekannt zu machen. Schwieriger geworden ist es im Hinblick auf das Alter und die Publikationsdichte. Und das Feld der Mitbewerberinnen und Mitbewerber ist internationaler. Früher wurden an Schweizer Universitäten viel mehr Schweizer berufen als heute. Es gab damals eine Art Heimvorteil. Dieser wurde zwar nicht thematisiert – es war einfach so. Die Schweizer Hochschullandschaft ist in den vergangenen drei Jahrzehnten viel internationaler geworden. Die Nachwuchsforschenden müssen sich deshalb heute der internationalen Konkurrenz stellen.
Was müssen Nachwuchsforschende heute mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Fischer: Sie sollten jung sein. In der Schweiz sind Bewerberinnen und Bewerber für einen Lehrstuhl im Durchschnitt zu alt – das ist ein Nachteil. Gleichzeitig sollte man sich in der Forschung früh profilieren. Neben den Qualifikationsschriften sollte man Vorträge halten und Artikel in renommierten Zeitschriften veröffentlichen.
Als Rektor haben Sie sich die Nachwuchsförderung auf die Fahne geschrieben: Wo besteht aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf und was ist zu tun?
Fischer: An der Universität Zürich wird in der Nachwuchsförderung bereits viel unternommen. Angesichts der Internationalisierung können wir aber noch mehr tun. Wir sollten jene, die gewillt und fähig sind, eine akademische Karriere anzustreben, gezielt unterstützen und ihnen ermöglichen, in kurzer Zeit abzuschliessen und sich zu profilieren. Mit dieser Starthilfe hätten sie die Chance, eine akademische Stelle in Zürich oder an einer anderen Hochschule zu finden.
Wann sollte Ihrer Ansicht nach die akademische Nachwuchsförderung beginnen?
Fischer: Vor allem im angelsächsischen Raum findet bereits nach der Bachelor-Stufe eine Selektion statt. Viele studieren bis zum Bachelor, danach wird im Hinblick auf den Master oder ein Doktorat ausgewählt. Bei uns ist das anders – die Schweizerische Universitätskonferenz hat entschieden, dass allen Studierenden mit einem Bachelor-Abschluss das Master-Studium offen stehen soll. Bei uns wird deshalb ein grosser Teil jener, die einen Bachelor erworben haben, weiterstudieren. Es wird keine explizite Selektion geben. Ich denke aber, dass Professorinnen und Professoren Talente unter den Bachelor-Studierenden erkennen. Diese sollten intensiv betreut, aktiv angeworben und später zu einer Dissertation ermuntert werden. Entscheidend ist dann die Doktoratsstufe, wo die Betreuung noch verbessert werden könnte. Auf dieser Stufe müssen die Nachwuchskräfte gefördert, aber auch gefordert werden, indem gute Arbeitsbedingungen geboten, die Doktorierenden aber auch dazu angehalten werden, etwas zu leisten.
In einigen Forschungsbereichen – etwa den Life Sciences – wirbt die Universität um die besten Nachwuchsforschenden weltweit. Was hat die Universität Zürich ihnen zu bieten?
Fischer: Der weltweite Wettbewerb um die grössten Talente findet zurzeit vor allem in den Naturwissenschaften statt – deutlich weniger in den Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften. Es braucht zwei Dinge: Die Universität muss sich fachlich und intellektuell profilieren. Das geschieht, indem sich herausragende Professorinnen und Professoren einen Namen machen, der eine internationale Ausstrahlung hat. Insofern implizieren unsere Berufungspraxis und die Strategie, einzelne Fächer auszubauen, auch eine Nachwuchsförderungspolitik. Auf der anderen Seite müssen wir den angeworbenen Nachwuchskräften etwas bieten. In den Naturwissenschaften bedeutet dies etwa, dass sie einen Platz in einer hervorragenden Doktorandenschule mit einer bezahlten Stelle erhalten. Hinzu kommen zusätzliche Dienstleistungen, etwa wenn es um die Vermittlung von Wohnraum oder um Probleme mit dem Visum geht. Hier könnten wir noch mehr tun.
Sie haben es angesprochen: Eine Möglichkeit, talentierte Nachwuchswissenschaftler anzuziehen, sind die Doktorandenschulen, wie sie beispielsweise von den Life Sciences angeboten werden. Kann dieses Modell auch in anderen Bereichen umgesetzt werden?
Fischer: Das ist eines der Gebiete, auf dem wir etwas unternehmen sollten. Doch Doktorandenschulen werden kaum in allen Fächern eingeführt. Es wird weiterhin auch die klassische Dissertation geben, die man neben einer Stelle an der Universität oder ausserhalb schreibt. Im Rahmen der Universitären Forschungsschwerpunkte werden bereits heute auch ausserhalb des medizinisch- naturwissenschaftlichen Bereichs Doktorandenprogramme angeboten, etwa vom Universitären Forschungsschwerpunkt Asien und Europa. Für die Nachwuchsförderung haben wir zudem den Forschungskredit, der jedes Jahr 5 Millionen Franken aus eigenen Mitteln plus für einige Jahre eine Million der Mercator-Stiftung zur Verfügung stellt. Die Mittel des Forschungskredits wurden bisher für einzelne Projekte vergeben. Ich könnte mir vorstellen, dass künftig ein Teil der Mittel eingesetzt wird, um Doktorandenprogramme zu finanzieren.
Das universitäre System in der Schweiz ist auf die schmale Spitze der Professuren ausgerichtet. Die geringe Aussicht auf einen Lehrstuhl kann Nachwuchskräfte davon abhalten, sich für eine akademische Karriere zu entscheiden. Braucht es neue Karriereperspektiven, wie es sie beispielsweise im angelsächsischen Raum mit seinen Lecturer-Stellen gibt?
Fischer: Das ist eine der Fragen, die ich mit einer eigens dafür eingesetzten Kommission klären möchte, die innert Jahresfrist eine Auslegeordnung vorlegen sollte. Man darf aber nicht vergessen, dass jedes universitäre System seine eigenen Gesetzmässigkeiten hat. Deshalb ist es schwierig, einzelne Elemente zu verpflanzen. In England gibt es an den Universitäten mehr Lehrende mit Dauerstellen, neben den Professorinnen und Professoren die so genannten Lecturers und Senior Lecturers. Das werden wir uns sicher ansehen. Aber es gibt dort keinen Mittelbau, wie wir ihn kennen. Dazu habe ich ein Zahlenbeispiel: 2007 hat die Universität Zürich rund 87,5 Millionen Franken für Professorinnen und Professoren ausgegeben und 176 Millionen, also etwa das Doppelte, für den Mittelbau. Wir könnten nun sagen, wir machen es wie in England und schaffen mit dem Geld, das für Mittelbaustellen zur Verfügung steht, neue Stellen auf der Ebene der Professoren. Deren Zahl könnte so auf einen Schlag verdreifacht werden. Doch das ist ein Gedankenspiel.
Welchen Auftrag hat die von Ihnen eingesetzte Kommission?
Fischer: Sie wird sichten, was bei uns strukturell und finanziell bereits vorhanden ist, und sich überlegen, wo es Sinn macht, auszubauen oder Mittel anders zu verwenden. Und sie wird sich im nahen und fernen Ausland umsehen.
Das Spektrum der möglichen Massnahmen würde dann von der Erhaltung des Status quo bis zu einem grösseren Umbau reichen. Würde die Universität Zürich diesen im Alleingang durchführen?
Fischer: Ein grösserer Umbau wäre ein Langzeitprojekt. Die Kategorien der Personen, die an der Universität tätig sind, sind im Universitätsgesetz festgeschrieben. Schon die Einführung der Assistenzprofessuren mit Tenure-Track brauchte Zeit, und es waren einige Hürden zu bewältigen. Neue Strukturen müssten innerhalb der Universität akzeptiert sein und dem Universitätsrat und allenfalls auch dem Kantonsrat vorgelegt werden. Ausserdem würden wir uns bis zu einem gewissen Grad mit den anderen Deutschschweizer Universitäten abstimmen.
Die grösste Herausforderung in einer akademischen Karriere ist der Schritt vom Doktorat zur Professur. Die Universitäten und der Nationalfonds haben mit der Schaffung von neuen Assistenzprofessuren und den SNF-Förderungsprofessuren in den letzten Jahren einiges unternommen, um den Schritt etwas kleiner zu machen. Wie beurteilen Sie diese Strategie?
Fischer: Man könnte wohl noch mehr tun, wenn man bestehende Lehrstühle mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzen würde. Es ist heute bereits möglich, eine Professur als Assistenzprofessur mit Tenure-Track auszuschreiben. Vielfach wird darauf verzichtet, weil wir Spitzenkräfte berufen wollen, die sich bereits bewährt haben.
Momentan gibt es 27 SNF-Förderungsprofessuren an der Universität Zürich. Inhaber solcher Professuren werden vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert und haben einen Platz an der Universität Zürich, aber keinerlei Garantien für die Zeit nach dem Ablauf des Förderungsprogrammes. Müsste sich die Universität hier nicht mehr engagieren?
Fischer: Das strenge Auswahlverfahren des Nationalfonds stellt sicher, dass sehr gute Nachwuchsforschende solche Förderungsprofessuren erhalten. Die Erwartung ist, dass sie mit dem Rückenwind der vom Nationalfonds verliehenen Förderung in der Lage sind, sich innerhalb von sechs Jahren so zu qualifizieren, dass sie eine Professur bekommen – sei es an der jeweiligen Universität oder anderswo. Soweit ich informiert bin, sind die Erfolgsaussichten sehr gut. Doch eine Garantie auf einen Lehrstuhl gibt es natürlich nicht.
Wenn Sie die heutigen Bedingungen anschauen, würden Sie wieder eine akademische Karriere anstreben? Und was würden Sie dem ambitionierten Forschungsnachwuchs empfehlen?
Fischer: Ich würde es wieder tun. Mein Ratschlag wäre, sich zwischen 25 und 30 zu überlegen, ob man nach dem Abschluss die Universität verlassen oder eine akademische Karriere anstreben will, im Wissen darum, dass es nicht einfach ist und Unsicherheiten in Kauf genommen werden müssen. Wenn man sich für eine akademische Karriere entscheidet, sollte man sich mit voller Energie dafür engagieren und auch alle Fördermöglichkeiten, die eine Universität wie unsere bietet, ausschöpfen.
Herr Fischer, besten Dank für das Gespräch.