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Die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Mitte August wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am CERN in Genf mit Experimenten am grössten und energiereichsten Teilchenbeschleuniger der Welt beginnen.
Im «Grossen Hadronen-Speicherring» (Large Hadron Collider, LHC) werden Protonen durch den 27 Kilometer langen, unterirdischen Beschleuniger gejagt. Annährend mit Lichtgeschwindigkeit sollen die gegenläufigen Teilchenstrahlen aufeinanderprallen und dabei bisher unbekannte Elementarteilchen entstehen lassen. Diese sollen mehr darüber verraten, wie das Universum entstanden ist und wie die Materie aufgebaut ist.
«Bis jetzt laufen die Tests zu meinem Erstaunen sehr gut», sagt Prof. Ulrich Straumann vom Physik-Institut der UZH. Er war schon in den 1980er Jahren als Postdoc am CERN tätig und erlebt derzeit zum dritten Mal mit, wie ein neuer Teilchenbeschleuniger gebaut wird: «Je mehr Erfahrung man hat, desto pessimistischer wird man, ob auch tatsächlich alles funktionieren wird», lacht Straumann.
Diesmal allerdings wurde er positiv überrascht. Sein Team von zehn Assistierenden und Technikern sowie zahlreichen Studierenden hatte bisher nur mit geringfügigen technischen Problemen zu kämpfen.
Gemeinsam mit Prof. Claude Amsler vom Physik-Institut der UZH war Straumann am Bau von zwei der vier grossen Detektoren des LHC beteiligt. Protonen kollidieren zu lassen ist nämlich nur das eine, die dabei entstehenden Elementarteilchen zu beobachten ist genauso anspruchsvoll. Diese Aufgabe übernehmen die vier Detektoren CMS, Atlas, Alice und LHCb.
Seit den späten 1990er Jahren sind Amsler und Straumann am Bau von CMS beziehungsweise LHCb beteiligt. Das Team von Prof. Straumann baute an der Universität Irchel den «Silizium Streifen-Detektor» (Silicon Tracker) für den LHCb. Dieser wird messen, mit welchem Impuls die entstandenen Teilchen unterwegs sind, und er untersucht die unterschiedlichen Eigenschaften von Materie und Antimaterie.
Das Team von Prof. Amsler will mit dem «Silizium Pixel-Detektor» vor allem dem Zerfall von schweren Elementarteilchen auf die Spur kommen und interessiert sich für unbekannte Teilchen wie das viel diskutierte «Higgs»-Teilchen oder Phänomene der Supersymmetrie.
Diese sollen offene Fragen rund um das Standardmodell der Physik klären oder Hinweise zu dessen Erweiterung geben. «Die Experimente mit dem LHC sollen unter anderem klären, warum es überhaupt Masse und nicht nur Energie gibt», so Claude Amsler.
Entsprechend gross sind die Erwartungen, die derzeit seitens der Wissenschaft wie auch der politischen Akteure als Finanzierern des Bauwerkes auf dem LHC ruhen. «Es überwiegt der Optimismus», sagt Straumann, der auch als wissenschaftlicher Vertreter der Schweiz im CERN-Rat tätig ist.
Die Erwartungen in den neuartigen Beschleuniger sind nicht unbegründet. Im Vergleich zum derzeit stärksten Teilchenbeschleuniger am Fermilab in Chicago wird der LHC die Teilchen mit der rund siebenfachen Energie auf die Reise schicken. Dies wird es erlauben, ein wesentlich genaueres Bild vom Aufbau der Materie und von den Prozessen am Anfang des Universums zu bekommen.
Der energiestarke LHC hat auch Skeptiker auf den Plan gerufen und zu Diskussionen geführt, ob in den Experimenten verhängnisvolle Schwarze Löcher entstehen könnten. «Aus wissenschaftlicher Sicht eine unnötige Angst», so Claude Amsler: «Kosmische Strahlen von viel höherer Energie haben Himmelskörper wie die Erde seit fünf Milliarden Jahren bombardiert, ohne dass je ein schwarzes Loch entstanden ist.»
Ob der LHC tatsächlich bisher unbekannte Teilchen sichtbar machen kann, könnte sich schon bald zeigen. «Falls es wirklich spannend wird und wir Neues entdecken, dürfte dies schon in den ersten ein bis zwei Jahren des Betriebes der Fall sein», schätzt Ulrich Straumann. Auch Claude Amsler ist zuversichtlich, was die kommende Messphase anbelangt: «Wenn es gewisse bisher nur theoretisch vorausgesagte Elementarteilchen wirklich gibt, werden wir sie mit dem LHC finden.»
Zu welchen Resultaten der LHC auch führen mag, er hat bereits heute dazu beigetragen, neues Grundlagenwissen zu schaffen. Der Bau der Detektoren war eine technisch hoch komplexe Angelegenheit. «Dies hat unter anderem mit der Strahlenbelastung zu tun, welcher die Detektoren ausgesetzt sein werden», so Claude Amsler.
Die neu gewonnenen Erkenntnisse beim Bau der Detektoren werden für weitere Anwendungen nutzbar sein, etwa bei Aufzeichnungen mit Röntgenstrahlen oder Sicherheitschecks in Flughäfen, wo ebenfalls Detektoren im Einsatz sind.