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Um zu ermessen, was es heissen kann, mit Leib und Seele Universitätsdozent zu sein, muss man sich einmal von Marc-Joachim Wasmer erzählen lassen, wie er das Lehren gelernt hat. Man wird eine wechselvolle, alles andere als gradlinige Geschichte zu hören bekommen, keine blosse Lern-, vielmehr eine ganze Lebensgeschichte, mit Rückschlägen, mit Kämpfen, mit Glücksmomenten.
Wasmer, 52, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunsthistorischen Institut, ist ein leiser, behutsamer, aufmerksamer Mensch. Manche Seminarteilnehmende wünschen sich gelegentlich von ihm, dass er sich während der Veranstaltungen häufiger zu Wort melde.
Doch gerade darauf steigt der Kunsthistoriker – eines seiner Spezialgebiete: das Venedig der frühen Neuzeit – nicht ein. «Ich bereite den Studierenden die Bühne, auftreten müssen sie selbst.»
Das Geheimnis seiner Seminarveranstaltungen ist eine minutiöse Vorbereitung, in die auch die Studierenden mit einbezogen werden. Viel Knochenarbeit hinter den Kulissen ist damit verbunden. Referate und schriftliche Arbeiten werden detailliert vor- und nachbesprochen, Konzepte und Exposés müssen abgegeben werden.
Wasmer will, dass die Studierenden ihre Projekte ruhig und planmässig angehen. Studieren beim Lehrfuchs Wasmer ist anspruchsvoll. «Wer fördert», so lautet sein Credo, «kann auch fordern.»
Wasmer, selbst ein passionierter Cellist, vergleicht Lehrveranstaltungen mit Konzertauftritten, die dann am besten gelängen, wenn alle Beteiligten genau vorbereitet, konzentriert und gut aufeinander abgestimmt seien. Er verwendet Worte wie «Geschmeidigkeit» oder «Dynamik», um Unterrichtsqualitäten zu bezeichnen.
Ungewohnte Vokabeln im Zusammenhang mit Seminarsitzungen. Was ist seine eigene Rolle in diesen Seminar-Performances? «Die des Basso continuo. Ich bin nicht der Dirigent, der über allen thront; ich sorge für das Fundament, auf dem sich die Melodiestimmen entfalten können.»
An seine eigene Studienzeit erinnert sich der Vollblutdidaktiker mit gemischten Gefühlen. Es mangelte an Bezugspersonen, an transparenten Zielvorgaben, an gut strukturierten und moderierten Seminardiskussionen und an Feedbacks. «So muss es nicht sein», hat er sich gesagt, als er vor neun Jahren eine Assistenzstelle an der UZH antrat.
Er heckte ein Konzept zur Vermittlung der Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit aus, an dem er bis heute feilt. Bei der Gestaltung des Bachelor-Curriculums im Fach Kunstgeschichte, die ihm vom Institut im Zusammenhang mit der Bologna-Reform anvertraut wurde, leistete ihm dieses Konzept gute Dienste.
Wie die meisten Hochschuldozenten ist Wasmer hinsichtlich der Lehre ein Autodidakt. Allerdings ein besonders gewissenhafter. Auf sein Talent zur Wissensvermittlung allein hat er sich nie verlassen. Er entwickelte ein detailgenaues Fragebogen-System zur Selbstevaluation.
«Die Studierenden», sagt er, «sind meine besten Lehrer. Sie reagieren sofort auf Fehler und Schwächen, sie kennen ihre Bedürfnisse genau. Transparente Anforderungen, straffe Abläufe, gezielte Rückmeldungen und möglichst reichhaltige Bezüge zwischen Wissenschaft und Praxis sind ihnen am wichtigsten.»
Woher rührt dieses ausgeprägte didaktische Faible, fragt man sich unwillkürlich, wenn man Wasmer zuhört. Der hat dafür eine überraschende Erklärung: «Ich war ein schlechter Schüler.» Da er vieles nicht auf Anhieb begriff, musste er sich Strategien zulegen, um sich die Dinge verständlich zu machen. «Ich war gezwungen, über das Lernen selbst nachzudenken.»
Wasmer blieb mehrfach sitzen, am Ende flog er vom Gymnasium. Er erfuhr an sich selbst, dass Lernfähigkeit keine Selbstverständlichkeit ist, umgekehrt aber auch, dass schlechte Leistungen nicht immer nur auf mangelnde Begabung zurückzuführen sind.
Erfolge stellten sich für ihn bei der Erwachsenenmatur ein. Als Student schliesslich fiel ihm plötzlich alles leichter als vielen anderen, und er fand Gefallen daran, Mitstudierende zu unterstützen.
Als Wasmer mit 43 Jahren an die Universität zurückkehrte, um Assistent bei Franz Zelger zu werden, knüpfte er – inzwischen um viele Erfahrungen reicher – an seine vertraute und liebgewonnene Mentorenrolle an. Er war eine eher ungewöhnliche Besetzung für eine Assistenzstelle: Einerseits beruflich überqualifiziert, anderseits ohne jegliche Aspirationen auf eine weitere akademische Karriere. Wasmer nutzt seine unkonventionelle Position auf eigene Weise: Er lotet die Spielräume und Möglichkeiten universitärer Lehre und Betreuung aus.
«Manche finden vielleicht, ich würde es mit dem didaktischen Idealismus etwas übertreiben», raisonniert er. Seine Studierenden, die ihn für den Lehrpreis vorschlugen, sind da bestimmt anderer Meinung.