Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Otto-Naegeli-Preis für Pierre-Alain Clavien

Forschende Chirurgen im Abseits

Gestern erhielt Professor Pierre-Alain Clavien mit dem renommierten Otto-Naegeli-Preis eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Auszeichnungen in der Schweiz. In seiner Ansprache lehnte der Leberspezialist den Trend zum Generalistentum in der Medizin ab. Er plädierte dafür, hochspezialisierte Mediziner auszubilden und die klinischen Bedingungen für die Forschung zu verbessern.
Marita Fuchs

Preisträger Pierre-Alain Clavien (links) und der Präsident der Bonizzi-Theler Stiftung Dr. Kurt Müller.

«Der forschende Chirurg gehört zu einer aussterbenden Spezies», sagte Professor Pierre-Alain Clavien, Träger des diesjährigen Otto-Naegeli-Preises, gestern während seiner Ansprache in der Aula anlässlich der Preisverleihung. Er plädierte engagiert dafür, klinische Tätigkeit und Grundlagenforschung besser zu verzahnen. Die klinische Forschung dürfe nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Während im internationalen Vergleich die Schweiz in der Grundlagenforschung Spitzenplätze belege, sei die klinische Forschung weit zurückgefallen. Dies müsse sich unbedingt ändern, sonst seien die Ausbildung der Kliniker und die optimale Versorgung der Patienten gefährdet.

Exzellenz und Engagement

Pierre-Alain Clavien hat die Auszeichnung für seine Leistungen auf den Gebieten der Leberchirurgie und Leberregeneration erhalten, wie der Präsident der Bonizzi-Theler-Stiftung, Dr. Kurt Müller, die Auswahl des Preisträgers begründete. Zudem habe Professor Clavien im Jahr 2000 eine neue Abteilung für Viszeral- und Transplantationsmedizin am Universitätsspital aufgebaut und sich für innovative Ausbildungsprogramme junger Chirurginnen und Chirurgen eingesetzt. Rektor Hans Weder würdigte den Preisträger als engagierten Forscher, der für seine Exzellenz und sein kompromissloses Engagement ausgezeichnet werde. Professor Daniel Scheidegger vom Universitätsspital Basel betonte in seiner Würdigung, dass der geehrte Chirurg nicht nur klinisch sondern auch in der Forschung tätig sei. Der grosse Vorteil von klinisch tätigen Forschern sei, dass sie Forschungsfragen aus dem täglichen Kontakt mit Patienten entwickelten und die Antworten dem Patienten unmittelbar wieder zugute kommen liessen.

«Er freue sich, dass der Preis an einen engagierten Chirurgen gehe», Prof. Daniel Scheidegger vom Universitätsspital Basel.

Generalisten statt Spezialisten

In seiner Dankesrede kritisierte der Preisträger die Karrieremöglichkeiten von Medizinern und die Entfaltungsmöglichkeiten von Spezialisten an Kliniken. «Der Verlauf einer Medizinerkarriere hängt stark von den Möglichkeiten ab, die die Chirurgen in ihrem Umfeld vorfinden», führte Clavien aus. Die akademische Umgebung wäre eigentlich ideal, um einen Chirurgen mit Spezialgebiet zu fördern. Tatsächlich sei es aber so, dass die forschenden Chirurgen je länger je mehr durch das Ausbildungskonzept «Generalist statt Spezialist» behindert würden. Im Gegensatz zum Generalisten könne der Spezialist sich auf ein kleines, wohl definiertes Gebiet fokussieren und hier an vorderster Front in der Forschung wirken. Ein Generalist jedoch habe hier keine Chance, weil er überall etwas, aber nirgends viel weiss und kann.

Ungünstig wirke sich etwa auch die Wahl eines Generalisten zum Klinikdirektor aus. Der kenne sich zwar auf vielen Gebieten gut aus, könne aber keine fokussierte Forschung zwischen präklinischer Untersuchung und klinischer Entwicklung durchführen, weil er den nötigen Spezialisierungsgrad nicht hat. «Diese Struktur sollte im akademischen Umfeld geändert werden», schlug der Preisträger vor. So könne die Universität exzellente Individuen fördern, die zum Wohl der Patienten neue Erkenntnisse in Diagnose und Therapie gewinnen würden.

Preisträger Pierre-Alain Clavien mit Gattin, links Rektor Hans Weder.

Paralysiert statt innovativ

Viele Mediziner würden heute ausgebildet, ohne eine Spezialisierung weiter ausbauen zu können, beschrieb Clavien. «Diese Leute haben zwar ihr eigenes Forschungsgebiet, können dies aber auf der klinischen Ebene nicht umsetzen.» Wenn die Möglichkeit fehlt, die Forschungsinteressen zu vertiefen, und die Forschenden nicht dazu angehalten werden, ihre Forschungsarbeiten voranzubringen, könne dies dazu führen, dass sie nur noch versuchten, durch die Produktion von Papers, akademischen Ansprüchen gerecht zu werden. Der Nobelpreisträger und Genetiker Joseh L. Goldstein bezeichnete im Jahr 1986 dieses schreckstarre Verhalten als das «Paralyzed Academic Investigator Syndrome (PAIS)».

Damit Erkenntnisse aus dem klinischen Alltag in die Forschung einfliessen können sei es notwendig, Förderungsprogramme für motivierte Chirurgen einzurichten. Die wohl beste Möglichkeit sei ein Tenure-track-Programm an den Universitäten, wie es bereits in angelsächsischen Ländern durchgeführt wird.

Bessere Entlöhnung für harte Arbeit

Clavien nahm zum Abschluss seiner Rede Bezug auf den jüngsten Entscheid zu den Arbeitszeiten des ärztlichen Kaders am Universitätsspital: die Einführung der 50-Stunden-Regelung sei unsinning. Mit der Arbeitszeitbeschränkung bleibe nämlich neben der klinischen Arbeit kaum mehr Zeit, um zu forschen und zu publizieren. Ausserdem müsse auch die Bezahlung stimmen, heute absolvierten die Kliniker eine lange, gut zehn Jahre dauernde Ausbildung und hätten danach einen vergleichsweise schlechten Verdienst und kaum Aufstiegschancen – zumindest an den Universitätskliniken.