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Nachdem die Lohnunterschiede in der Schweiz zwischen 2000 und 2004 relativ stabil blieben, stiegen sie 2006 leicht an. «Der Anstieg der Lohndisparität ist nicht riesig, aber erkennbar», sagt Dorothea Brunner. Eine Möglichkeit, die Lohndisparität zu messen, besteht darin, die obersten und die untersten zehn Prozent der Löhne (ohne Boni u. ä.) in einem Betrieb zu vergleichen. Dieses Verhältnis zwischen Spitzenlöhnen und untersten Löhnen erhöhte sich 2006 von 2,6 auf 2,7.
Wann ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin das Lohngefüge in ihrem Betrieb (oder innerhalb ihrer Branche) als ungerecht empfindet, ist jedoch individuell unterschiedlich. Es lässt sich kein Wert festmachen, ab wann die Lohndisparität von den meisten als stossend betrachtet wird. Die einzelnen Arbeitnehmer gehen immer von ihrer eigenen Lohnsituation aus und vergleichen diese mit Leistung und Ertrag von Arbeitskollegen. Sie berücksichtigen dabei auch Unterschiede in der Ausbildung und in der Berufserfahrung.
Aus diesen verschiedenen Faktoren entwickeln Arbeitnehmer je subjektiv das Gefühl, einen gerechten beziehungsweise ungerechten Lohn zu beziehen, besagt eine bekannte «Gerechtigkeitstheorie», die Equity Theory, die Brunner in ihrer vom Forschungskredit unterstützten Dissertation berücksichtigt. Wer das Gefühl hat, das Verhältnis von eigenem Input und Output entspreche in etwa dem vergleichbarer Arbeitskollegen, ist mit seinem Lohn zufrieden. Wenn hingegen ein jüngerer Arbeitskollege, der beispielsweise schlechter qualifiziert ist und weniger Output liefert, gleich oder mehr verdient, dann steigt die Lohnunzufriedenheit stark an.
Dorothea Brunner hat im Hauptfach Arbeits- und Organisationspsychologie und im ersten Nebenfach Betriebswirtschaftslehre studiert. Bereits für ihre Lizentiatsarbeit ist sie «bei den Wirtschaftswissenschaftlern gelandet», wie sie sagt. Ihr Ansatz ist jedoch ein psychologischer geblieben. Deshalb interessiert es sie nicht, wie die Lohndisparität in Schweizer Betrieben objektiv aussieht, sondern wie die Angestellten diese subjektiv wahrnehmen und wie sich das auf die Kündigungsabsicht eines Angestellten auswirkt.
Erste Resultate stehen bereits fest: 35 Prozent der Arbeitnehmer in der deutschen und französischen Schweiz nehmen die Lohnunterschiede im Unternehmen als gross wahr, fast 26 Prozent als sehr gross. Und: Angestellte, die die Lohndisparität als ungerecht empfinden, hegen eine signifikant höhere Kündigungsabsicht.
Die subjektive Wahrnehmung der Lohndisparität ist ein relativ wichtiger Faktor, ob sich die Kündigungsabsicht verstärkt oder nicht. Das zeigt sich an folgender Beobachtung: Erhöht sich bei einer Person die Wahrnehmung der Lohndisparität von mittel auf sehr hoch, so steigt ihre Kündigungsabsicht um acht Prozent. «Das ist relativ viel», sagt Brunner, «denn man muss bedenken, dass die subjektive Wahrnehmung der Lohndisparität nur einer von vielen Gründen ist, weshalb eine Person schliesslich kündigt.» Leute mit Karriereabsichten zum Beispiel sind eher willens, zu kündigen, weil sie überzeugt sind, für ihre Karriere verschiedene Erfahrungen sammeln zu müssen.
Die Kündigungsabsicht wird stark durch Massnahmen des Human-Resource-Managements beeinflusst: Erhalten die Angestellten regelmässig ein Feedback auf ihre Arbeit und erlaubt man ihnen, sich im Betrieb einzubringen und bei Entscheidungen mitzureden, so mindert das merklich die Kündigungsabsicht von Angestellten.
Und wie kommt die subjektive Wahrnehmung der Lohndisparität zustande? Das möchte Brunner in einem zweiten Schritt herausfinden. Dazu interessiert sie unter anderem, wie viele Angestellte überhaupt über die Lohnsituation in ihrem Betrieb informiert sind. Bereits hat sich herausgestellt: Die Kenntnisse sind relativ gering.
Für ihre Analysen stützt sich Dorothea Brunner auf bestehende Daten, die im Rahmen des jährlich durchgeführten Human Relations Barometer erhoben wurden, einem gemeinsamen Projekt der Universität und ETH Zürich. Darin enthalten sind 1300 repräsentativ für die deutsche und französische Schweiz ausgewählte Personen, die breit zum Thema Arbeit befragt wurden.
Am Schluss ihrer Auswertung möchte die Arbeitspsychologin auch Empfehlungen an Unternehmen geben, wie diese die Kündigungsabsicht ihrer Angestellten günstig beeinflussen können. In Anbetracht dessen, dass 61 Prozent der Schweizer Arbeitnehmerinnen und -nehmer die Lohndisparität als ungerecht empfinden und entsprechend erhöhte Kündigungsabsichten hegen, ist das sicher ein sinnvoller Bestandteil der Dissertation.