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In Gummistiefeln und die Taschen voller Gewebeproben betritt Ursina Tobler das Labor des Zoologischen Instituts der Universität Zürich. Die Doktorandin bei Professor Heinz-Ulrich Reyer und Dr. Benedikt Schmidt hat den Vormittag in Tümpeln im Kanton St. Gallen verbracht, um dem Rückgang der Geburtshelferkröte, im Volksmund Glögglifrosch genannt, auf die Spur zu kommen.
Die Verbreitung der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), so wie aller Amphibien in der Schweiz, ist rückläufig. Die Bestände sind heute stark gefährdet. Das liegt hauptsächlich an der fortschreitenden Zerstörung ihrer Lebensräume: Teiche werden zugeschüttet und überbaut, Seen werden durch menschliche Nutzung strukturärmer, und viele Gewässer sind mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft angereichert oder mit Abwässern verschmutzt. So werden ganze Populationen der Geburtshelferkröte ausgelöscht oder aber stark verkleinert.
An diesem Punkt setzen die Fragen der Wissenschaft an. «Nach populationsgenetischer Theorie weisen kleine Populationen eine reduzierte genetische Variabilität aus, was sie anfälliger für Krankheiten macht», erklärt Ursina Tobler. «Da der massive Rückgang der Geburtshelferkröte nicht allein mit der Zerstörung ihrer Lebensräume zu erklären ist, könnte darin eine weitere Ursache liegen.»
In den letzten Jahren wurde weltweit beobachtet, dass Amphibien, auch die Geburtshelferkröte, vermehrt vom Pilz B. dendrobatidis befallen werden. In Spanien konnte bereits nachgewiesen werden, dass das lokale Aussterben der Geburtshelferkröte auf Pilzbefall zurückgeht. «Es ist also denkbar», überlegt Ursina Tobler, «dass die verringerte genetische Variabilität verkleinerter Populationen den Glögglifrosch besonders anfällig für Pilzbefall macht. Dann wäre der Pilz ein weiterer Faktor, der das Überleben der Geburtshelferkröte in der Schweiz gefährdet.»
Der Zusammenhang zwischen genetischer Variabilität und Anfälligkeit gegenüber Krankheiten ist theoretisch oft beschrieben, aber selten untersucht worden. «Der Glögglifrosch bietet ein ideales Modellsystem, um diesen Zusammenhang zu beleuchten», erklärt die Doktorandin. Die Geburtshelferkröte lebt in der Schweiz – europaweit gesehen – an ihrer östlichen Verbreitungsgrenze. An den Grenzen der Verbreitung einer Art weisen diese natürlicherweise eine geringere genetische Variabilität aus als im Verbreitungszentrum. Somit müsste die genetische Variabilität der Glögglifrosch-Populationen in der Ostschweiz geringer sein als in der Westschweiz. Ebenso gilt, dass sich die genetische Variabilität von Populationen mit zunehmender Höhe verringert. Ursina Tobler: «Indem ich entlang dieser beiden Gradienten – Ost-West-Gradient und Höhengradient – die Glögglifrösche beprobe, kann ich Populationen mit unterschiedlicher genetischer Variabilität untersuchen. Somit kann ich herausfinden, ob Populationen mit geringer genetischer Variabilität anfälliger gegenüber dem Pilzbefall, der Chytridiomykose, sind.»
Wie muss man sich nun eine «Beprobung» der Geburtshelferkröte vorstellen? «Da sich die Geburtshelferkröte nur in der Nacht zeigt, weiche ich auf die Kaulquappen aus, die jederzeit in den Gewässern zu finden sind», erklärt Ursina Tobler. Mit Gummistiefeln und Sammelröhrchen ausgerüstet, sucht sie ausgewählte Gewässer im Emmental und in den Kantonen Basel-Landschaft, St. Gallen und Appenzell auf. Für die genetischen Analysen entnimmt sie den Schwanzflossen ein Stückchen, so kein, dass die Kaulquappen nicht in ihrer Entwicklung behindert werden. Abstriche aus dem Mundfeld der Kaulquappen werden auf Pilzbefall hin untersucht.
Zurück im Labor tauscht die Nachwuchsforscherin die Gummistiefel gegen den Laborkittel ein. Mithilfe von Mikrosatelliten gewinnt sie Erkenntnisse über die genetische Variabilität der Populationen der Glögglifrösche. Für die Untersuchung des Pilzbefalls hat Ursina Tobler eine Kooperation mit der Zoological Society of London aufgebaut: «Das Institute of Zoology der Zoological Society of London hat bereits eine Methode zum Nachweis einer Chytridiomykose entwickelt. Es ist eine grossartige Möglichkeit, dass ich mich dort mit der Methode vertraut machen darf.»
Ermöglicht wird dieses Forschungsvorhaben durch die finanzielle Unterstützung aus dem Forschungskredit 2007 der Universität Zürich. Dieser deckt die Lohnkosten der jungen Forscherin für ein Jahr. Um die Laborkosten zu finanzieren, hat die Doktorandin zurzeit bei fünf weiteren Stiftungen Gesuche eingereicht, bei zweien bereits erfolgreich. «Aber über die Zusprache aus dem Forschungskredit habe ich mich besonders gefreut, da hier allein nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt wird», lacht Ursina Tobler und krempelt die Ärmel des Laborkittels hoch. «Das Schöne an meinem Forschungsvorhaben ist, dass ich eine wissenschaftlich sehr interessante und hoch aktuelle Fragestellung bearbeite, die zusätzlich angewandte Aspekte des Naturschutzes beinhaltet.»