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Die Universitäten sind mit vielfältigen, oft widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert, stellte Johann Christian Jacobs, Vorsitzender der Jacobs Foundation, in seiner einleitenden Rede fest. Die Universitäten sollen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, zugleich aber auch ganze Generationen exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorbringen. Sie sollen sich breiten Kreisen öffnen und zugleich mit Spitzenleistungen in der Forschung brillieren. Sie sollen sich einpassen in europaweit harmonisierte Standards und sich zugleich im wissenschaftlichen Wettbewerb profilieren. Sie sollen vielseitige Bildung und zugleich spezialisiertes Fachwissen auf höchstem Niveau vermitteln – und dies alles möglichst immer schneller und effizienter.
Was Universitäten leisten können und was nicht, zeigt sich besonders deutlich an der Nahtstelle zwischen Studium und Beruf. Rolf Dörig, Group CEO der Swiss Life-Gruppe, bekannte, bei seinen ersten Gehversuchen in der Wirtschaftswelt realisiert zu haben, «dass ich trotz Studienabschluss zunächst nichts konnte». Vice versa habe ihm das Studium jedoch das Rüstzeug vermittelt, seinen Rückstand rasch wieder wettzumachen. Dörig plädierte dafür, in der Schweiz angesichts der internationalen Konkurrenz das durchschnittliche Eintrittsalter ins Berufsleben herunterzusetzen. Er betonte aber auch den hohen Wert praktischer Erfahrung während des Studiums. «Mein Traum wäre, mehr Hochschulabsolventinnen und –absolventen einstellen zu können, die schon während des Studiums Berufserfahrungen gesammelt haben.» Diese, so Dörig, erwiesen sich als agiler, teamfähiger, vielseitiger und breiter gebildet, sie könnten sich in der Regel rascher an wechselnde Situationen anpassen und sich besser ausdrücken, kurzum: Sie verfügten über mehr überfachliche Kompetenzen.
Jürgen Oelkers, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich, machte demgegenüber darauf aufmerksam, dass den so genannten Soft Skills – also sozialen, methodischen und sprachlichen Kompetenzen – an den Hochschulen seit einigen Jahren zunehmendes Gewicht beigemessen werde. Er wehrte sich dagegen, die Vermittlung von Soft Skills gegen fachlich-wissenschaftliche Ausbildung auszuspielen: «Das eine muss nicht auf Kosten des anderen gehen.»
Dieser Meinung war auch Joachim Treusch, Präsident der Jacobs University Bremen. «Gute Studierende», so Treusch, «sind viel belastbarer, als man denkt. Sie bringen im wissenschaftlichen Bereich nicht weniger, sondern mehr Leistung, wenn man von ihnen den Erwerb überfachlicher Kompetenzen fordert.»
Pascale Bruderer, Vize-Präsidentin des Nationalrats, lenkte das Gespräch auf die Zutrittsbedingungen zur Universität. Sie lobte das duale Schweizer Bildungssystem mit Berufslehre und Hochschulbildung, wies aber auch darauf hin, dass auf die Chancengleichheit besonderes Augenmerk gerichtet werden müsse: «Für Menschen aus bildungsfernen Schichten und nichtakademischen Schichten sind die Schwellen zu einem Universitätsstudium nach wie vor höher – dadurch wird viel Talent verschleudert.» Übereinstimmend mit Rolf Dörig unterstrich sie den grossen Wert der Erwerbstätigkeit neben dem Studium. Das Studium dürfe nicht isoliert betrachtet werden, zum Bildungsprozess gehörten auch Erfahrungen ausserhalb der Universität. Die studienbegleitende Erwerbstätigkeit sei eine wichtige Ergänzung zur Beschäftigung mit der Wissenschaft. «Ich persönlich», sagt sie, «bin froh darum, dass ich mir schon während des Studiums entscheidende Kompetenzen im Arbeitsleben aneignen konnte.»
Zum Schluss des Gesprächs stellte Moderator Roger de Weck fest, dass kaum über Politik geredet worden sei, was er als Zeichen der fortgeschrittenen Emanzipation der Universitäten von der Politik wertete. Er forderte die Podiumsrunde auf, Wünsche an die Politik zu äussern. Joachim Treusch mahnte daraufhin mehr «Stetigkeit» an, Jürgen Oelkers eine «Harmonisierung der Standards» und Rolf Dörig «mehr Mut, Strukturen aufzubrechen». Pascale Bruderer plädierte für weitere Anstrengungen zur Koordination des Hochschulbereichs. Roger de Weck selbst schliesslich wünschte sich Rahmenbedingungen, die noch mehr starke Persönlichkeiten an die Hochschulen lockten, denn, so de Weck: «Was mich während des Studiums mehr als alle curricula geprägt hat, war die Begegnung mit zwei, drei grossen Lehrern und Forschern.»