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Politikerinnen benutzen sie gerne, Schriftsteller sowieso und auch Ökonominnen und Ökonomen schadet es nicht, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Gar von einer «boomenden Geschichtskultur» sprach Moderator Peter Gautschi in seiner Eröffnung der Podiumsdiskussion. Doch was ist die Rolle der Historikerinnen und Historiker wenn es um den Stellenwert der Geschichte in der Gesellschaft geht?
Eine schwierige, meinte Professor Carlo Moos, Vorsteher des Historischen Seminars der Universität Zürich. Denn Historikerinnen und Historiker könnten nur selten die Erwartungen der Gesellschaft erfüllen. Dies nicht aus Unvermögen, sondern weil gesellschaftliche und wissenschaftliche Ansprüche nicht deckungsgleich seien.
Die Aufgabe der Historikerinnen und Historiker sei es nämlich nicht, Zudiener zu sein für eine politische Instrumentalisierung der Geschichte. «Nur Politiker beschwören die Geschichte. Die Historiker sind hier vorsichtiger», sagte Moos.
Die frühere Nationalratspräsidentin Judith Stamm bekannte sich unumwunden dazu, Geschichtsbilder in politischen Debatten zu instrumentalisieren. Dabei zähle nicht die historische Korrektheit, sondern das treffende Bild, meinte sie. Ein schlagendes und für Stamm erstaunliches Beispiel ist der Bundesfeiertag vom 1. August. Er wurde 1889 – auf Grundlage vager und schon damals umstrittener historischer Fakten – quasi vom Bundesrat dekretiert und 1891 erstmals gefeiert. In der Bevölkerung fand der von oben verordnete Feiertag jedoch auf Anhieb grosse Akzeptanz.
Unabhängig von den historischen Fakten brauche es Anlässe, an denen sich eine Nation ihrer selbst vergewissern und sich mit ihrer Geschichte und Herkunft befassen könne, meinte Katja Gentinetta, Stellvertretende Direktorin des Think-Tanks «Avenir Suisse. In diesem Sinne erfülle der 1. August eine wichtige Funktion, auch wenn der historische Anlass dazu umstritten sei. Sie wehrte sich deshalb auch gegen eine Abschaffung des Feiertags, wie sie Carlo Moos provokativ forderte.
Wenn die Meinungen über ein Geschichtsbild ein gesellschaftlicher Konsens herrsche, dann wolle die Gesellschaft eben wenig von Historikerinnen und Historikern wissen, so das Fazit von Moos. Speziell dann, wenn sie Ansichten verträten, die diesem Konsens zuwiderliefen.
Taugt dann Geschichte überhaupt als Kompass für politische oder wirtschaftliche Entscheidungen? Mit Blick auf die aktuelle Finanzkrise meinte Katja Gentinetta, dass historisches Wissen – im Besonderen über das eigene Unternehmen und die eigene Branche – Firmen zu einer besseren Einschätzung wirtschaftlicher Entwicklungen führen und sie damit vor gefährlichen Fehlentscheiden schützen können. Allerdings reiche historisches Wissen alleine nicht aus. Es brauche neben dem nötigen wirtschaftlichen Know-How auch die eigene Erfahrung. Nur wer bereits Krisen durchgemacht hat, agiert in schwierigen Situationen vorsichtiger, so Gentinetta.
Einen ganz anderen «Nutzen» aus der Geschichte zieht der Oltner Autor Alex Capus, der in seinen Romanen historisch verbürgte Geschichten literarisch verarbeitet. Und damit offenbar ein Bedürfnis trifft, wie sein Erfolg zeigt. Wer fiktionale Geschichten schreibe, müsse sich stets um grösstmögliche Plausibilität bemühen, so Capus. «Wenn ich mich in meinen Erzählungen hingegen auf Fakten stütze, dann kann ich mich um die Plausibilität foutieren.» Das gebe ihm als Schriftsteller neue Freiheiten.
Das Problem von Dichtung und Wahrheit, das in Capus' Romanen angelegt ist, beschäftigt auch den Historiker Carlo Moos. Zum Besipiel habe er durch C.F. Meyers «Jürg Jenatsch» viel mehr über die Person und seine Zeit verstanden, als durch eine sachliche historische Biographie. Zwar sei Meyer von historischen Fakten ausgegangen, habe aber daraus gemacht, was ihm gepasst habe. «Der Roman nähert sich mehr dem Wesen der Dinge, als eine wissenschaftliche Abhandlung», bekannte Moos. Im Licht dieser Erkenntnis habe er selber «ein gespaltenes Verhältnis zur Geschichte gewonnen.»
Dass es die Wahrheit gegen die Dichtung oft schwer hat, kennt Alex Capus aus eigener Erfahrung: Als er eine Geschichte über ein Kind schrieb, das die Treppe hinunterstürzte, wurde er auf der Strasse in Olten stets mitleidvoll darauf angesprochen: «Und wie geht's deinem Kind?» Die Versicherung, die Geschichte sei erfunden und überhaupt habe er sie bereits vor drei Jahren geschrieben, habe jedoch selten gefruchtet. «Ach so, aber trotzdem gute Besserung dem Kleinen.»