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Kunstvolle Gesänge, ekstatisches Zittern und eine gehörige Portion unheiligen Schalks: Es war ein ganz und gar aussergewöhnliches Spektakel für alle Sinne, das am Dienstagabend im Völkerkundemuseum der Universität vonstatten ging. Zwei Schamanen der Magar demonstrierten im Rahmen der grossen Doppelausstellung über die Ritualpraxis ihres Volkes eine Séance, wie sie bei der Initiation eines Schamanen erfolgt. Für einen Abend wehte der geheimnisvolle Geist von übernatürlichen Helfern, Hexen und flüchtigen Seelen durch das nüchterne Zürich. Ein Geist, der nicht nur in die sich verausgabenden Schamanen fuhr, sondern auch das Publikum im randvollen Vortragssaal erfasste.
Michael Oppitz, der scheidende Direktor des Völkerkundemuseums, sorgte als so kompetenter wie gewiefter Kommentator dafür, dass die Vorführung nicht exotische Oberfläche blieb. Der renommierte Schamanismus-Experte, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren bei den Magar ausgiebig Feldforschung betrieb, hat sämtliche Aspekte der Heilspraxis des Bergvolks in Wort und Bild beschrieben und ausgewertet. Insbesondere wandte er sich dem unerhört reichen Mythenschatz der Magar zu, der aus dem Gedächtnis zur Aufführung gelangt und bis zu 14'000 Verse in einer einzigen Séance umfasst – so viel wie die Ilias und die Hälfte der Odyssee zusammen, wie Michael Oppitz bemerkte.
Gezeigt wurde eine auf zwei Stunden gekürzte Fassung eines Rituals, das sich in Wirklichkeit über bis zu sieben Stunden hinzieht. Es begann mit dem sorgfältigen Überstreifen und Zurechtrücken der zehn Kilogramm schweren Rüstung, welche die Schamanen auf ihren gefahrvollen Missionen vor Angriffen aus dem Jenseits schützt. Das opulente Gewand steht realen Schutzausrüstungen in Bezug auf die eindrucksvolle Erscheinung in nichts nach: Mit Kauri und zahllosen Glocken besetzte Gurte, diverse Tierkadaver und Häute sowie eine weit ausladende Federkrone verwandelten die beiden zierlichen Männer in furchterregende Krieger aus einer andere Welt.
Rhythmisches Zittern in unterschiedlichen Gangarten offenbarte den dramaturgischen Ablauf der Séance. Überraschende humoristische Einlagen brachen immer wieder mit dem Ernst der Situation – ein Schamane, der nicht über eine gute Portion Witz verfüge, habe bei seiner Klientel keine Chance, liess Oppitz die Zuhörer wissen. Währenddessen schlugen die Zeremonienmeister ohne Unterlass ihre Trommeln an, sprangen dann und wann auf und begaben sich auf symbolische Seelenreisen. Zu ihrem Höhepunkt gelangte die Vorführung, als einer der Schamanen mit darstellerischer Virtuosität ein Wildschein mimte – der hilfreiche Tiergeist hatte von ihm Besitz ergriffen und wies ihm den Weg auf der Suche nach der entfleuchten Seele seines Patienten.
Der Abend war gleichzeitig Anlass, die langjährigen Verdienste Michael Oppitz’ um die Universität Zürich zu würdigen. Von seinen Mitarbeitern wurde ihm eine in ihrem Umfang kolossale und prächtig edierte Festschrift überreicht. Sie umfasst nicht weniger als 44 Beiträge namhafter Autoren, die das von Oppitz formulierte Verständnis von Wissenschaft als «Kunst der Genauigkeit» reflektieren. Dahinter steht das Ringen eines Mannes, das Grunddilemma wissenschaftlichen Arbeitens aufzulösen: den eigenen rigiden akademischen Ansprüchen zu genügen, ohne die sinnliche Qualität der beobachteten Realität zu schwächen. Dafür müsse sich der Ethnograf auch künstlerischer Mittel bedienen, so Oppitz. Mit Galgenhumor – nun wisse er, dass er alt sei – nahm der Beschenkte die Festschrift entgegen.