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Auf der Trommel um die Welt

Der abtretende Direktor des Völkerkundemuseums, Michael Oppitz, zeigt in zwei herausragenden Ausstellungen, was Ethnografie für ihn bedeutet. Sie ist eine Kunst. Die Kunst der Genauigkeit.
Sascha Renner

Schamanentrommel der Tubalaren im Altai, mit Griff im Inneren in Menschengestalt – dem «Herrn der Trommel». Russisches Ethnographisches Museum, St. Petersburg.

Es ist eine Abschiedsgala nach Mass. Im Januar tritt Michael Oppitz altershalber als Direktor des Völkerkundemuseums der Universität Zürich zurück. Gelegenheit, Etappen einer Forschervita abzuschliessen, dem Publikum eine Blütenlese vorzulegen. Oppitz tut dies gleich mit zwei Ausstellungen, beide zum grossen Komplex des Schamanismus, der ihn drei Jahrzehnte lang beschäftigte. Die eine Ausstellung ist einem einelnen Gegenstand gewidmet: der Trommel. Mit ihrer Rahmentrommel rufen die Heiler die Ahnen an, rezitieren die Ursprungsmythen, tanzen sich in Trance und kämpfen gegen böse Geister an – ein unerlässliches Requisit jedes Schamanen.

Ein Typus, viele Varianten

Das Erstaunliche daran: Über einen riesigen geografischen Raum hinweg, vom Himalaja über die Mongolei und Sibirien bis hin nach Skandinavien, sind alle Schamanentrommeln vom Typus her Verwandte, unterscheiden sich aber in ihren lokalen Verwirklichungen. Im Vergleichen und Entdecken von Transformationsketten liegt die Spanne und die Faszination dieser Ausstellung. Die schlichte Präsentation fast ohne Text (greifbar in einem aufliegenden Führer) will zum genauen Hinsehen animieren, was auch den Trommeln zuträglich ist: Sie schweben frei im Raum und bringen ihre ästhetischen Vorzüge voll zur Entfaltung, vor allem die künstlerische Originalität ihrer Bemalung. Die Darstellungen sind eigentliche Weltkarten, durch den Weltenherr gegliedert in Ober- und Unterwelt.

Im Gegensatz dazu zeigt die zweite Ausstellung das schamanische Universum an einem einzigen Ort in nahezu erschöpfender Weise. Unter dem Titel «Schamanen der nördlichen Magar. Eine Ethnographie in Bildern» öffnete Michael Oppitz sein Fotoarchiv, das zwischen 1977 und 1984 in Nepal im Laufe mehrerer Feldforschungen entstanden ist. Es umfasst über 10'000 Bilder. An vier Stationen werden komponierte Bildsequenzen, dem Handlungsablauf schamanischer Séancen folgend, als Rückprojektionen mit jeweils zwei Beamern pro Bild gezeigt. Die von Dario Donati und Michael Egger ersonnene und sorgsam komponierte Präsentation führt zu lichtstarken, qualitativ überragenden Resultaten. Sie lässt einen ganz in die mitreissende Dynamik und Schönheit dieser Welt eintauchen.

Die Schamanen Beth Bahadur und Man Bahadur singen eine mythische Geschichte anlässlich der Heilséance für ein krankes Kind. Taka, Nordwest-Nepal, 1979.

Ein Film von epischer Länge

«Das Wesentliche ist für mich die Beobachtung der beobachtbaren Welt», sagt der Ethnologe im Gespräch. Andere setzten sich aufs hohe Theorieross («Das macht nicht schmutzige Fingernägel») – er ging den umgekehrten Weg, nämlich ins Feld. Erstmals, als 22-Jähriger, zu den Sherpa im Himalaja, deren Clanstruktur er erforschte und darüber sein erstes Buch schrieb. Doch dann merkte er, dass ihm ein potentes Theoriewerkzeug fehlte. Er kehrte in die Studierstube zurück, setzte sich mit der damals attraktiven strukturalen Anthropologie auseinander («Es war die faszinierende Persönlichkeit von Claude Lévi-Strauss») und schrieb sein furioses Buch «Notwendige Beziehungen», das als zentrale Schrift dieser letzten Grosstheorie gilt.

«Der dialektische Schritt aus der Wirklichkeit zur Theorie und wieder zurück: Dieses Wechselspiel halte ich für grundlegend», begründet Oppitz seinen Erkenntnisweg. Hierbei spielten ihm Bilder stets eine wichtige Rolle. Ja, er gehörte zu denjenigen, die das tief sitzende verbalfundamentalistische Dogma in der Wissenschaft aufweichten und Bilder in den Rang hochgradiger Information erhoben. Ein Beispiel dafür ist sein berühmt gewordener ethnografischer Dokumentarfilm «Schamanen im blinden Land» (1980). Auf einer Länge von 223 Minuten zeigt dieses filmische Epos in zuvor unbekannter Exaktheit, wie Schamanen im Land der Magar ihre Arbeit verrichten. Angefangen bei kürzeren Séancen führt der Film immer tiefer hinein in das schamanische Universum, bis ins Zentrum, dem Initiationsritus.

Unkonventionell und kompromisslos

Dabei machte Oppitz keine Kompromisse. «Ich halte nichts von vorfabrizierten Formaten, das ist konventioneller Unsinn.» Die Akribie der Beschreibung zieht sich durch sein gesamtes Schaffen. Oppitz praktiziert sie geradezu als Kunst – und fordert diese vom Ethnografen auch ein: «Genauigkeit produziert eine eigene Art des Schönen», schreibt er in seinem Buch «Kunst der Genauigkeit» (1989). «Deshalb ist die Genauigkeit, wie ich sie für die Ethnografie, ob visuell oder verbal, fordere, eine Praxis der Kunst.» Diese Kunst steht freilich im Dienst der adäquaten Beobachtung – wobei adäquat meint: sowohl sinnhaltig als auch im sinnlich-ästhetischen Sinn kongenial zur jeweiligen kulturellen Verwirklichung.

Michael Oppitz während seiner letzten Feldforschung bei den nördlichen Magar, Nepal, 1984.

Die Aufführung einer schamanischen Séance bezeichnet Oppitz ohne zu zögern als eine totale, multimediale Kunstperformance. Ihrer Vielschichtigkeit sei nur das Bild gewachsen. Es speichert nicht nur die verschiedenen Handlungsebenen – Gesang, Rezitation, Tanz – simultan, sondern erlaubt es auch, die sinnliche Qualität der beobachteten Fakten zu bewahren – der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Um diese sinnliche Dimension zu erfassen, brauche es Intuition und Gestaltungskraft, so Oppitz. Und dafür müsse der Ethnograf sich künstlerischer Mittel bedienen.

Kein Wunder, interessierten sich gerade Künstler stets für seine Produkte. Besonders beeindruckt war Joseph Beuys, der selbst ernannte Künstlerschamane, von Oppitz’ Dokumentarfilm. Nachdem er die verschiedenen Heilséancen gesehen hatte, meinte er: «Die haben ja buchstäblich alles von mir geklaut.»

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