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Das Modell Schweiz als Angebot für Afghanistan

Wären Demokratie und Föderalismus mögliche Modelle für das krisengeschüttelte Afghanistan? Zürcher Lizentianden gaben an einem Seminar zum Thema Frieden in Afghanistan an den Universitäten von Kabul und von Balkh Diskussionsanstösse – und stiessen auf grosses Interesse beim afghanischen Publikum.
Brigitte Blöchlinger

Afghanische Studierende der Universität Balkh während der Vorträge der Zürcher Delegation.

Ursprünglich waren die beiden halbtägigen Seminarien an den Universitäten Balkh und Kabul für Studierende gedacht. Doch nur in Balkh durften die Studierenden teilnehmen – und erschienen zahlreich. In Kabul war das Zürcher Seminar zu einer Infoveranstaltung für Politiker, Presseleute und Professoren umfunktioniert worden, zu der die Studierenden keinen Zutritt erhielten. Offenbar schien den derzeitigen Kabuler Machthabern das Thema Frieden und Demokratie zu «heiss». Einen positiven Effekt hatte diese Konzeptänderung jedoch: Über das Seminar wurde in vielen Zeitungen berichtet, und sogar das nationale Fernsehen strahlte einen Beitrag dazu aus.

Breit abgestütztes Seminar

Organisiert wurde das Seminar vom Ministerium für höhere Bildung, von der Universität Kabul, dem Afghanistan National Institute for Peace and Justice sowie Prof. Dr. Albert A. Stahel von der Universität Zürich. Eröffnet wurde es vom derzeitigen Ersten Vizepräsidenten Ahmad Zia Massoud (einem Bruder des ermordeten Ahmad Schah Massoud, der in der Nordallianz gegen die Taliban kämpfte), und vom derzeitigen Bildungsminister für höhere Bildung, Dr. Ahzam Dadfar. Beide Redner würdigten die wissenschaftlichen Arbeiten von Professor Stahel über Afghanistan und gaben ihrer ganzen Wertschätzung und Dankbarkeit Ausdruck, dass sich die Zürcher Delegation für ihr Land interessiert. Sie betonten, dass sie gerne weiterhin solche Seminare unterstützen werden und dass sie sich von der Universität Zürich auch in Zukunft einen wissenschaftlichen Austausch erhofften.

Prof. Albert A. Stahel von der Universität Zürich während seiner Einführung in die Thematik an der Universität Kabul am 26. September 2007.

Schweizer Demokratie, Toleranz …

Professor Stahel legte dann in seiner Einleitung die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz während den letzten siebenhundert Jahren dar. Anschliessend folgten kurze Inputreferate seiner Zürcher Studierenden zu verschiedenen Aspekten der Schweizer Demokratie.

Lizentiandin Dominique Reinecke an der Universität Kabul während ihres Vortrags über Toleranz.

Dominique Reinecke zum Beispiel referierte zur Basistugend der Demokratie, zu Toleranz. Sie bezog sich dabei auf die ethnische Situation in Afghanistan, wo wie in der Schweiz mehrere unterschiedliche Gruppen – Paschtunen, Usbeken, Hazara und Tadschiken – miteinander auskommen sollten. Auch die Toleranz gegenüber westlichen Staaten wurde zum Thema, denn diese ist in Afghanistan schwierig aufzubringen, zu stark herrscht im Land das Gefühl vor, seit dreissig Jahren von wechselnden Mächten fremdbestimmt zu werden. Die Ohnmachtsgefühle sind gross, hat die Zürcher Delegation erfahren, denn unter der internationalen Besatzungsmacht hat sich die Situation nicht verbessert.

… Volksherrschaft und der Blick von aussen …

Die Zürcher Referentinnen und Referenten verstanden ihre Inputreferate primär als Informationsangebot und in keiner Weise als erneuter Versuch imperialistischer Einflussnahme. Diese «neutrale» Haltung wurde jedoch nicht von allen im Publikum auch so verstanden, hat Referentin Karin-Anne Gerig erfahren. Sie sprach über die verschiedenen Ausprägungen von Demokratie, an sich ein unverfängliches Thema, würde man meinen. Doch in der Diskussion anschliessend zeigte sich, dass dem afghanischen Publikum bereits die Kombination Westen und Demokratie suspekt war. Es wurde der Vorwurf laut, die Schweiz würde ihr Staatsmodell als perfekt und als absolute Wahrheit hinstellen – ein Vorwurf, der auf dem Hintergrund der jahrzehntelangen Fremdbestimmung nachvollziehbar ist, die Diskussion allerdings sehr erschwerte. Eine andere mögliche Erklärung, weshalb das Demokratiemodell nicht auf einhellige Zustimmung stiess, könnte die Tatsache sein, dass in der jetzigen anarchischen Situation in Afghanistan immer auch eine Vielzahl lokaler Machtinhaber profitieren; für diese würde eine Demokratisierung einen fundamentalen Verlust von Einfluss bedeuten.

Lizentiandin Karin-Anne Gerig an der Universität Kabul während ihres Vortrags über Demokratie.

… auf die geopolitische Grosslage

Auf breites Interesse stiess der Vortrag von Can Günes Deniz. Er zeichnete die wichtigsten geopolitischen Mächte auf, die um Afghanistan ringen, und weshalb sie das tun. Die USA stehen dabei an erster Stelle, da für die Weltmacht der Zugang zu den Erdöl- und Erdgasvorräten im Nahen Osten und in Zentralasien in den kommenden Jahrzehnten zentral werden wird. Insbesondere die Gegenden um den Persischen Golf, wo sich zwei Drittel der Ölvorräte befinden, und um das Kaspische Meer sind dabei von Interesse. Das Unocal-Pipeline-Projekt sieht nämlich den Transport des schwarzen Goldes von Turkmenistan via Pakistan und Afghanistan an den Indischen Ozean vor.

Die Präsenz amerikanischer Truppen in Afghanistan und Irak dient ausserdem dazu, so Can Günes Deniz, in einer guten Ausgangsposition zu sein für eine militärische Attacke gegen Iran. Afghanistan ist für die USA also in zweierlei Hinsicht ein zentrales Verbindungsstück in ihrem geopolitischen Machtspiel. Wer Afghanistan kontrolliert, kontrolliert das Tor zum Fernen Osten. Nach Grossbritannien und Russland scheinen das nun die USA zu versuchen.

Diskutieren an der Universität Balkh mit den Studierenden: (v.l.n.r.) der Rektor der Universität, Albert A. Stahel, Dominique Reinecke, Corinne Troxler, Jörg Nagel, Karin-Anne Gerig.

  

 

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