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Zuerst steigen wir hinunter ins Labor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung. Natürlich stehen da weder Mikroskope noch Destillationskolben, sondern Dutzende von Computermonitoren, angeordnet in kleinen, voneinander abgetrennten Kojen. Hier führen der Lehrbeauftragte Urs Fischbacher und Assistenzprofessor Michael Kosfeld Verhaltensexperimente mit Studierenden durch. Und aus genau solchen Labors kommen regelmässig Erkenntnisse, die die klassische ökonomische Theorie vom Homo oeconomicus, dem rein rational handelnden Wirtschaftssubjekt, widerlegen.
Die Frage, ob das menschliche Verhalten altruistische Elemente einschliesse, sorgt seit Jahrhunderten für hitzige ideologische Debatten. Experimente haben gezeigt, dass eine beachtliche Zahl von Probanden sich tatsächlich altruistisch verhält. Doch über die Faktoren, die dafür verantwortlich sind, ob eine Person sozial oder eben egoistisch handelt, weiss man noch wenig. Der Universitäre Forschungsschwerpunkt «Grundlagen menschlichen Sozialverhaltens: Altruismus und Egoismus» soll dies ändern. Untersucht werden sowohl die gesellschaftlichen als auch die biologischen Determinanten von sozialem und antisozialem Verhalten. Darüber hinaus analysieren die Wissenschaftler die wirtschaftlichen und ethischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Urs Fischbacher und Michael Kosfeld bearbeiten unter dem Titel «Soziale Grundlagen und Konsequenzen von Altruismus» ein Unterprogramm des Projektes. Fischbachers und Kosfelds Werkzeug ist die Mathematik. Häufig arbeiten sie mit Elementen der Spieltheorie. «Diese mathematische Grundlage», sagt Fischbacher, «ermöglicht es uns, nicht nur qualitative Aussagen, sondern auch fundierte quantitative Vorhersagen zu machen.»
Eine der Fragen, die Fischbacher und Kosfeld beschäftigt, ist die Umverteilung: Wie verhalten sich Leute mit unterschiedlichem Einkommen, wenn sie darüber abstimmen können, ob und wieviel Geld umverteilt werden soll? Die Antwort der klassischen Ökonomie ist klar: Wer überdurchschnittlich viel verdient, ist gegen Umverteilung – und umgekehrt. Doch so egoistisch, wie die traditionelle Theorie voraussagt, handelt der Mensch nicht. Fischbachers und Kosfelds Experimente zeigen, dass bei solchen Entscheidungen auch so genannte soziale Präferenzen eine Rolle spielen – etwa der Sinn für Fairness.
Ein Hintergrund für das Forschungsprojekt der beiden Ökonomen ist das so genannte Ultimatum- Spiel. Zwei Personen müssen einen bestimmten Geldbetrag aufteilen, und zwar ultimativ: Die eine Person macht einen Vorschlag, die andere kann nur annehmen oder ablehnen. Lehnt sie ab, bekommt keiner etwas. «Die klassische Vorhersage ist», sagt Michael Kosfeld, «dass sehr unfaire Angebote gemacht werden – die zweite Person nimmt aber trotzdem an, um wenigstens etwas zu bekommen.» Allein, die Realität sieht anders aus: Im Experiment stiegen viele Spieler aus, wenn ihnen nicht mindestens ein Drittel des Geldes angeboten wurde. Das zeigt, dass Menschen ungerechte Angebote ablehnen – sogar, wenn sie dabei leer ausgehen. Wie passt dieser Befund mit Situationen zusammen, in denen sich Leute total egoistisch verhalten – in Konkurrenzsituationen zum Beispiel? «Darüber haben wir lange diskutiert», sagt Michael Kosfeld. Inzwischen haben die Forscher mathematische Modelle entwickelt, die sowohl den egoistischen als auch den altruistischen Motiven der Menschen besser Rechnung tragen.
Doch wem nützt diese Forschung konkret? Zum einen der Ökonomie selber, weil sie so ein präziseres Menschenbild erhält, das empirisch valide ist und nicht ständig vom Wirtschaftsalltag widerlegt wird. Ein realistischeres Menschenbild erlaubt komplexere ökonomische Modelle und damit bessere Prognosemöglichkeiten. Das ist auch für die Politik relevant, wenn es beispielsweise um die Ausgestaltung von rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen geht. «Konkret könnte man sich die Frage stellen, welche Anreize es braucht, damit Massnahmen der Arbeitslosenversicherung als fair empfunden werden», sagt Urs Fischbacher. In der Steuerpolitik wiederum machen die verfeinerten Forschungsansätze Modelle möglich, die auch individuelles Verhalten einbeziehen. Damit kann man besser voraussagen, welche Effekte zum Beispiel das Fairnessmotiv auf den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen haben könnte.
Neu an diesem wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsansatz ist auch der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. In einigen Projekten arbeiten die Ökonomen mit Psychologen und Neurobiologen zusammen. Fischbacher und Kosfeld können sich durchaus vorstellen, dass von diesen Disziplinen interessante Inputs kommen werden. Und: Wenn man mehr darüber weiss, wie unser Hirn entsteht und sich entwickelt, oder wenn man biologische Mechanismen findet, die für ein bestimmtes Verhalten verantwortlich sind, führt dies vielleicht auch zu Antworten auf lange gehegte Fragen. Etwa derjenigen, was passiert, wenn wir uns entscheiden, jemandem etwas zurückzugeben oder eben nicht – wenn wir also altruistisch oder egoistisch handeln.
Aber auch die Ökonomen haben den Psychologen und Neurowissenschaftlern einiges zu bieten. Zum Beispiel, können sie Testteilnehmer auf attraktive Art in Dilemmasituationen bringen. «Es ist schon fast ein wissenschaftliches Ping-Pong-Spiel», bilanziert Kosfeld. Als Profis in der Spieltheorie sind die Ökonomen dafür bestens gerüstet.