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Antike aus zweiter Hand

Sie haben das ambitiöse Aussehen kostbarer Folianten – doch statt Buchseiten verbergen sich darin lauter bunte Steine mit Bildern antiker Götter und Caesaren. Diesen in Vergessenheit geratenen Daktyliotheken aus dem 18. und 19. Jahrhundert widmet die Archäologische Sammlung der Universität Zürich eine umfassende Ausstellung. Die Preziosen stellen nichts weniger als eine dreidimensionale Enzyklopädie antiker Kunst und Bildung dar.
Sascha Renner

Drei Sperrholzkästen mit insgesamt 200 Abdrücken in rot glänzendem Schwefel aus der Werkstatt von Christian Dehn. (18. Jahrhundert,  Archäologisches Institut der Universität Zürich)

Der Blick gleicht dem in eine prall gefüllte Bonbonschachtel: Zu Dutzenden und Hunderten assortiert, liegen da die Häupter von Herrschern und Heroen, Schutzheiligen und Göttern. Ja selbst detailreiche Abbildungen von Kampfszenen und Pferdewagen finden sich, einige von der Grösse eines Hühnereis, die meisten bloss fingernagelgross. Präzis gearbeitete Miniaturen, die sich als Relief aus der Fläche schälen. Man ist versucht, zur Lupe zu greifen: Haarfein verlaufen die Taue einer Galeere vom Mast zu den Halterungen; in Jupiters Konterfei glaubt man jede Haarsträhne, jede Bartlocke zu erkennen. Antike im Kleinstformat.

Quelle zum Studium der Antike

Bei den Steinen handelt es sich um die Abgüsse antiker Gemmen – künstlerisch geschnittener Edelsteine, die in hellenistischer und römischer Zeit als Schmuck, zum Herzeigen und als Siegel verwendet wurden. Das Interesse an den Gemmen erwachte neu im 18. Jahrhundert, als man in der Kunst der Antike das Prinzip der Schönheit am reinsten verwirklicht sah. Durch minutiöses Studium sollte das Vorbild in eigene Kunstwerke übertragen werden. Anschauungsmaterial war jedoch nördlich der Alpen nur an wenigen Stellen im Original zu finden.

Glaspaste mit einem Portrait von Alexander dem Grossen aus einer Sammlung von Florentiner und Römischen Glaspasten. (1854, Archäologisches Institut der Universität Zürich)

Handlich, günstig, authentisch

Hier boten Reproduktionen von Gemmen Abhilfe: Sie liessen sich durch Abformung in Gips, Glas, Siegellack oder Schwefel nicht nur kostengünstig herstellen und verbreiten – auch ihre künstlerische Authentizität war anderen Reproduktionsverfahren wie gestochenen Abbildungen weit überlegen, da sie das Objekt in seiner Dreidimensionalität bewahrten. Gemmenabgüsse erlaubten so den denkbar unmittelbarsten Zugang zur antiken Kunst. Sie gelangten in die Sammlungen von Schulen, Kunstakademien und Gelehrten, wo sie dem Studium der antiken Bildwelt und als stilbildende Vorlage dienten.

Suche nach der Handschrift

Die Ausstellung zeigt keine originalen antiken Gemmen, sondern widmet sich ganz der in heutigen Augen erstaunlichen Beliebtheit von Abgüssen im 18. und 19. Jahrhundert und der Art, diese aufzubewahren. So ordnete etwa Baron von Stosch in seiner richtungweisenden Edition von 1724 sämtliche Steine nach den Künstlernamen – und nicht etwa nach den abgebildeten Themen. Seine Klassifikation spiegelt die Bedeutung, die man damals der individuellen Handschrift beimass.

Stapelkasten mit Abdrücken von Gemmen und Kameen des Neapler Museums. (1830/40, Archäologisches Institut der Universität Zürich)

Andere Daktyliotheken waren nach ästhetischen Kriterien geordnet – nach Grösse, Farbe und Motivgruppen. Die Sammlungen spiegeln so auf vielsagende Weise den unterschiedlichen Blick auf die Antike, zu einem Zeitpunkt, als die Grundlagen der modernen Altertumswissenschaften gelegt wurden.

Museum in den eigenen vier Wänden

Ein Prunkstück der Schau stellt die 1755 erschienene Kollektion von Philipp Daniel Lippert dar. Sie versammelt nicht weniger als dreitausend Abdrücke, zusammengestellt in prächtigen ledergebundenen Foliobänden, hinter deren Buchrücken sich winzige Schublädchen verbergen.

Lippertsche Daktyliothek von 1755 aus dem Archäologischen Institut Göttingen.

War Lippert an der Festigung eines Kanons gelegen – er verkaufte nur vollständige Sets und keine Auszüge – so umfassten die meisten Daktyliotheken der Zeit Sammlungen unterschiedlichen Inhalts und Umfangs. Steine konnten nach Wunsch bestellt werden, wodurch sich jeder Sammler sein eigenes Musée imaginaire zusammenstellen konnte

Marktführend war seit 1836 Tommaso Cades, der mehr als achttausend Abformungen im Angebot hatte. Eine vollständige Edition markiert den Auftakt der Ausstellung: Sämtliche 75 Bände finden sich hier zu einem eindrücklichen antiken Bilderbogen arrangiert.

Niedergang und Auferstehung

Im 20. Jahrhundert gerieten die Abgüsse vollständig in Vergessenheit. Der Kult des Originals und das Aufkommen neuer Medien führten dazu, dass die Sammlungen in die Keller der Seminare verbannt wurden. Auch die unbefangene Zusammenstellung antiker und neuzeitlicher Steine trug im Zuge der Verwissenschaftlichung der Archäologie zum Niedergang dieses Bildmediums bei.

Sechs Schwefelabdrücke mit Bildnissen von römischen Kaisern aus der Sammlung von Florentiner und Römischen Glaspasten. (1854, Archäologisches Institut der Universität Zürich)

Erst in jüngster Zeit tauchen die Abgüsse wieder auf – in Ausstellungen wie dieser. Für Zürich wurde die von den Universitäten Augsburg und Göttingen konzipierte Schau substanziell erweitert. So besitzt die Universität Zürich eine wertvolle Sammlung aus der Werkstatt von Christian Dehn: Seine Werkstatt am Corso in Rom war eine der ersten Adressen für kunstinteressierten Romreisende und Souvenirjäger.

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