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Eine Sammlung, wie sie bunter, abwechslungsreicher und verrückter nicht sein könnte: Mit ihrem bannenden Blick halten die Madonnen des Luzerners Hans Schärer August Wallas furchterregenden Teufel in Schach, der in seinen Händen Kreuz und Zepter schwingt, und aus dessen zwei schwarzen Penissen sich eine zähe, türkise Flüssigkeit über die Welt ergiesst. Der Teufel wiederum blickt wütend auf eine Gruppe von Kleinfiguren, die ganz und gar aus Abfallmaterialien, alten Bürsten, Dosen und Stofffetzen gefertigt sind – absonderliche Kreaturen wie aus einem Sommernachtstraum. Sie alle entstammen der Sammlung des Psychiaters Gerhard Dammann und seiner Ehefrau, der Unternehmensberaterin Karin Dammann.
Die Kollektion des Sammlerpaars umfasst rund hundert Werke, von denen nun 38 in einer Ausstellung im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich zu sehen sind. Ihr Schwerpunkt sind vielfältige künstlerische Werke aus dem Kontext Psychiatrie. In seinen einführenden Rede anlässlich der gestrigen Vernissage führte Gerhard Dammann den Wandel in der Wahrnehmung dieser Exponate vor Augen: Anfänglich habe ein diagnostisches Interesse Psychiater wie den Italiener Cesare Lombroso dazu geführt, sich mit den spontanen Hervorbringungen von Geisteskranken zu beschäftigen. Man glaubte, darin Anzeichen von Schizophrenie oder Demenz erkennen und benennen zu können.
Davon nahm man Anfang der 1920er-Jahre Abstand, als Hans Prinzhorn in Heidelberg und Walter Morgenthaler in Bern die Werke von Psychiatriepatienten erstmals als Kunst würdigten. Sie glaubten, dadurch zum ursprünglichen Kreatürlichen, zum menschlichen gestalterischen Ausdruck in seine unmittelbarsten Form vordringen zu können. Auf die Spitze trieb diesen Mythos des Authentischen der Künstler und Sammler Jean Dubuffet in den 40er-Jahren. Er wollte in der Kunst der Geisteskranken den unverbildeten und daher reinsten Ausdruck von Kunst erkennen und setzte diesen als Waffe gegen die seiner Ansicht nach elitäre, langweilige und entleerte Kunst akademischer Prägung ein.
Heute, so Dammann, sei es nicht mehr legitim, von einer Kunst psychiatrieerfahrener Menschen zu sprechen – zu unterschiedlich seien die formalen Eigenschaften der Arbeiten, die individuellen Lebens- und Leidensgeschichten und die medizinischen Bedingungen der Produktion. Trotzdem erkennt er eine Konstante im Schaffen der Künstler seiner Sammlung: «Viele beschäftigen sich über Jahre oder sogar ein ganzes Leben hinweg mit einem einzigen Thema, ungeachtet der gerade aktuellen Strömungen der Zeitkunst.» An der Art Brut oder Aussenseiterkunst interessiert ihn und seine Frau die damit verbundenen Lebensläufe. «Dass sie trotz schwerster Krankheit kreativ sein können, das finden wir faszinierend.»
Gerhard Dammann hat sein erstes Werk bereits als Student im Alter von 23 Jahren erworben. Seit zehn Jahren nun wächst die Sammlung gezielt und kontinuierlich. Im Jahr 2006 trat das Sammlerpaar damit erstmals an die Öffentlichkeit, in den Ausstellungsräumen der renommierten Sammlung Prinzhorn in Heidelberg. Ihre Kollektion zeichnet sich nicht durch Grösse, sondern durch die sorgfältige Auswahl der Werke aus. So stammen die Aquarelle und Zeichnungen Oswald Tschirtners alle aus den frühen 70er-Jahren, bevor die Gugginger Künstler im grossen Stil für den Kunstmarkt produzierten. Eine Rarität ist auch die hinreissende Collage von Adolf Wölfli, eines der seltenen Beispiele dafür, wie der Berner Art-Brut-Meister vorgefundenes Bildmaterial in sein zeichnerisches Werk integrierte.
Das spektakulärste Exponat ist jedoch ein Bettgestell, geschnitzt von einem unbekannten Künstler aus massiver Eiche. An seiner Längsseite ragen Köpfe hervor, deren expressive Mimik an Messmerschmidts Charakterköpfe denken lässt. Die Sammlung Dammann umfasst ausserdem mit einem auf das Jahr 1720 datierten Blatt eines der ältesten Werke der Aussenseiterkunst überhaupt. Es sind solche Trouvaillen, die der Sammlung ihr besonderes Gepräge verleihen und sie von anderen Kollektionen in diesem rasch expandierenden Sammlungsgebiet abheben. Ihr Grundstock bildet jedoch eine qualitätsvolle Auswahl von Klassikern der Art Brut: schöne Werkserien der Gugginger Künstler Hauser, Walla und Tschirtner, ausserdem ein grösserer Komplex von Arbeiten aus den berühmten Ateliers von La Tinaia in Florenz. Mal schauerlich schön, mal voller absurdem Witz, mal berührend menschlich, lässt einem dieses bunte Panoptikum nicht so rasch wieder los.