Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

 

Die Dramen Shakespeares verständlich machen

Andreas Fischer, Anglistik-Professor und Prorektor der Universität Zürich, wurde zusammen mit Professor Rüdiger Ahrens (Würzburg) und Professor Ulrich Suerbaum (Bochum) am 2. Juni im Zunfthaus zur Meisen in Zürich geehrt. In feierlichem Rahmen wurde den drei Herausgebern der «Englisch-deutschen Studienausgabe der Dramen Shakespeares» der Max-Geilinger-Preis (insgesamt 30'000 Franken) überreicht.
David Werner

Ausgezeichnet mit dem Preis der Max-Gelinger-Stiftung (v.l.): Professor Ulrich Suerbaum (Bochum), Professor Andreas Fischer (Zürich), Professor Rüdiger Ahrens (Würzburg).

Mit «Othello» ging es 1976 los, seither sind insgesamt 25 Dramen Shakespeares in kommentierter englisch-deutscher Übersetzung erschienen, jedes in einem eigenen Band, zuletzt im vergangenen Jahr Hamlet. 12 weitere Bände sollen noch folgen. Die «Englisch-deutsche Studienausgabe der Dramen Shakespeares», um die sich die diesjährigen Empfänger des Max-Geilinger-Preises verdient gemacht haben, ist ein aufwändiges, ambitiöses und daher auch langwieriges Unternehmen – ein Herkulesprojekt, das den Beteiligten viel Durchhaltewillen abfordert. «Wir verstehen den Preis als Ermunterung, die Editionsarbeit auf hohem Niveau voranzutreiben und zu einem guten Ende zu bringen», sagte Professor Fischer im Namen der Geehrten in seiner Dankesrede.

Die Max-Geilinger-Stiftung in Zürich wurde vom Schweizer Juristen und Schriftsteller Max Geilinger (1884-1948) zur Pflege der schweizerisch-britischen Kulturbeziehungen ins Leben gerufen. Sie verleiht alle zwei bis drei Jahre einen Preis.

Hohes wissenschaftliches Niveau

Die Studienausgabe ist in ihrer Art einmalig: Jeder Band enthält den englischen Originaltext eines Dramas und eine deutsche Prosa-Übersetzung. Zentraler Bestandteil ist ein umfangreicher Anmerkungsapparat zur Klärung schwieriger Wörter und Sachverhalte. Enthalten sind jeweils auch detaillierte Szenenkommentare mit bühnenpraktischen Hinweisen, ein aktuelles Literaturverzeichnis zu den einzelnen Dramen und ein Einleitungstext, der auf die Entstehungsgeschichte, die wichtigsten Interpretationsansätze sowie auf die Bühnenrezeption des jeweiligen Dramas eingeht. Ziel der Ausgabe, so steht es im allgemeinen Vorwort der Herausgeber, sei es, den Leserinnen und Lesern «den Shakespeareschen Text und seine genaue Bedeutung so nahe zu bringen, wie dies zur Zeit möglich ist, und darüber hinaus die zu einem vertieften Verständnis notwendige Information zu geben.»

Der zuletzt erschienene Band der Englisch-deutschen Studienausgabe der Dramen Shakespeares: Hamlet.

Die Ausgabe richtet sich an Forschende und Studierende, sie soll aber auch im Englischunterricht an Schulen Verwendung finden. Angesprochen sind ausserdem Theaterleute. Schließlich will die Studienausgabe auch Übersetzerinnen und Übersetzer dazu inspirieren, in Shakespeares komplexen Textwelten nach neuen Möglichkeiten der Bedeutungskonstitution Ausschau zu halten. Finanziert wurde das Projekt bisher unter anderem vom Schweizer Nationalfonds und der Deutschen Shakespearegesellschaft. Letztere hat auch das Patronat über die Edition übernommen.

Aufklärerische Absicht

Andreas Höfele, Anglistik-Professor in München und Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, würdigte bei der Preisverleihung die Bedeutung der Studienausgabe. Er ging dabei auf die lange, wechselvolle Geschichte der Shakespeare-Rezeption und -Übersetzung im deutschsprachigen Raum ein. Die Schlegel-Tieck-Übersetzung aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, welche alle anderen Übertragungen noch lange Zeit überragte, sei in den siebziger Jahren zunehmend als unzeitgemäss empfunden und in vielem als fehlerhaft erkannt worden – doch «eine wirklich überzeugende moderne Alternative», so Höfele, gab es nicht. Zugleich habe sich das damals im Entstehen begriffene, lustvoll auf Denkmalsturz und Provokation setzende Regietheater gegenüber den Stückvorlagen immer mehr Freiheiten herausgenommen – mit dem Argument: Man wisse ja gar nicht, was Shakespeare eigentlich geschrieben und gemeint habe. «Hierzu den Gegenbeweis zu erbringen», so resümierte Höfele, «war der Kernimpuls, war die eigentliche aufklärerische Absicht, die dem Projekt einer zweisprachigen Studienausgabe der Werke Shakespeares zugrunde lag.»

Andreas Höfele, Anglistik-Professor in München und Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, hält die Laudatio.

Schlüssel zum Verständnis Shakespeares

Zu Recht, so urteilte Höfele, hätten sich die Initiatoren entschlossen, die Ausgabe primär als ein Instrument zum detailgenauen Textstudium und nicht als ein Konkurrenzprodukt zu literarischen Übersetzungen zu konzipieren. Die Übersetzungstexte der Studienausgabe beanspruchten keine poetische Eigenständigkeit, «sie verstehen sich vielmehr als Schlüssel zum Verständnis des englischen Originals, und was sie von dessen Bedeutungsfülle nicht in jeweils einer deutschen Formulierung unterbringen, das steht in der Anmerkung. Zusammengenommen bieten Übersetzung und Anmerkungen eine vollständigere Bedeutungserfassung, die eine 'poetische' Übersetzung niemals zu leisten vermag.» Dieses Konzept, so Höfele, habe sich bis heute bewährt. «Es ist in seiner Art ohnegleichen, insofern die deutsche Prosaübersetzung und der ihr beigegebene Anmerkungsapparat als Einheit fungieren.»

Kein gleichförmiger Monolith

Preisträger Andreas Fischer gehört bereits zur zweiten Herausgeber-Generation der Studienausgabe. Er stieg als Nachfolger des inzwischen verstorbenen Mit-Initiators Ernst Leisi in das dreiköpfige Herausgebergremium ein.

Fischer bemühte sich mit Erfolg darum, den wegen des hohen wissenschaftlichen Anspruchs sehr langsamen Publikationsrhythmus zu beschleunigen.

Prof. Andreas Fischer bei seiner Dankesrede im Zunfthaus zur Meisen.

«Die zentrale Aufgabe der Hauptherausgeber», sagt Fischer, «ist es, Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die als Autoren und Übersetzer eines Bandes in Frage kommen, frühzeitig ausfindig zu machen, sie anschliessend in ihrer Arbeit zu motivieren, zu begleiten und zu betreuen sowie über die Einhaltung der Grundidee der Studienausgabe zu wachen.»

Die Shakespeare-Studienausgabe ist kein gleichförmiger Monolith. Die einzelnen Bände sind geprägt von den Interessen und Forschungsschwerpunkten der jeweiligen Bearbeiter. Sechs der bisher erschienenen Bände entstanden an der Universität Zürich, drei davon tragen die Handschrift von Nachwuchsforschenden, die mit ihrer Übersetzungs- und Kommentierungsarbeit bei Andreas Fischer doktorierten. Fischer betrachtet speziell die auf diese Weise entstandenen Bände – es handelt sich um «König Heinrich V», «Coriolan» und «Pericles» - mit einigem Vaterstolz. «Die Shakespeare-Studienausgabe», sagt er, «ist ein ausgezeichnetes Mittel zur Nachwuchsförderung.»

Bühnenerfahrung mit Macbeth

Andreas Fischers selbst verdankt seine Begeisterung für Shakespeare einem seiner ehemaligen Lehrer an der Universität Basel. Rudolf Stamm, Anglistik-Professor an der Universität Basel und ein grosser Theaterkenner, brachte ihm den englischen Klassiker nicht nur intellektuell, sondern auch auf körperlich-sinnliche Weise nahe: Am Englischen Seminar begründete Stamm eine Studierenden-Theatergruppe, der bald auch Andreas Fischer beitrat. «Besonders intensiv», erinnert sich Fischer, «war die Auseinandersetzung mit Macbeth; es ist noch heute eines meiner Lieblingsstücke.»

Freuen sich über die Anerkennung ihres langjährigen Engagements für die Englisch-deutsche Studienausgabe der Dramen Shakespeares: Professor Andreas Fischer (rechts) und Professor Rüdiger Ahrens.

Auf Ermunterung Stamms wurde Fischer bereits als Student Mitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, welche heute das Patronat über die englisch-deutsche Studienausgabe innnehat. Rudolf Stamm war einer der Gründerväter der Edition. So erlebte Fischer, ohne ahnen zu können, dass er selbst als Mit-Herausgeber dereinst die Federführung des Projektes übernehmen würde, in den siebziger Jahren als Student und Doktorand die Anfänge der «Englisch-deutschen Studienausgabe der Dramen Shakespeares» aus der Nähe mit. Wenn in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit der letzte der 37 Bände erscheinen wird, dann wird sich auch unter diesem Aspekt ein Kreis geschlossen haben.