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Der Pfeilschuss in den Rücken war tödlich: «Ötzi», die Eismumie aus dem Ötztal, ist an der Verletzung durch den Pfeil innert kürzester Zeit verblutet. Das konnte ein Forscherteam mit Frank Rühli vom Anatomischen Institut der Universität Zürich dank einer Computertomographie der Mumie «mit fast vollständiger Sicherheit» beweisen. Die Untersuchung ist im «Journal of Archeological Science» online publiziert.
Der Pfeil traf die Unterschlüsselbein-Arterie arteria subclavia und führte zu einem grossen Blutverlust. Die Pfeilspitze, die noch im Schulterbereich steckt, war zwar bereits bei früheren Untersuchungen der Mumie entdeckt worden. Bisher war allerdings nicht klar, ob sie die Todesursache war, oder ob die Pfeilspitze von einer früheren – nicht tödlichen – Verwundung stammte.
«Wenn man die Zeit (3300 v. Chr) und die klimatischen Bedingungen auf über 3000 Meter über Meer berücksichtigt, dann können wir mit fast hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass der Mann an dieser Verletzung gestorben ist», sagt Dr. Frank Rühli. Der Befund wird weiter gestützt durch einen grossen Bluterguss im umliegenden Gewebe der Wunde.
Damit ist der Lösung eines «über 5000 Jahre alten Kriminalfalls» – so Rühli – ein wichtiger Puzzlestein hinzugefügt. Wer allerdings den Pfeil abgeschossen hat und unter welchen Umständen, darüber kann sich Rühli nicht äussern. «Die Rekonstruktion der Todesumstände ist Sache der Archäologen», sagt Rühli. Als Anatom habe ihn der Nachweis der Todesursache interessiert.
Dass Rühli und seine Kollegen Dr. Eduard Egarter Vigl, Dr. Partizia Pertner und Dr. Paul Gostner die Todesursache so klar bestimmen konnten, ist einmalig auf dem Gebiet der Mumienforschung. Dank modernster Multislice-Computertomographie konnte die Mumie auch ohne eine Autopsie eingehend untersucht werden. «Vor einigen Jahren wäre eine solche Untersuchung noch nicht möglich gewesen», erklärt Rühli. Die Resultate übertrafen die Erwartungen der Forscher: «Wir waren überrascht über die hohe Auflösung der Bilder». Die Verletzung der Arterie und der Bluterguss entlang der Schussbahn seien auf den CT-Bildern gut zu erkennen.
Nicht nur modernste Technik führte allerdings zum klaren Befund, sondern auch die Tatsache, dass die Mumie aussergewöhnlich gut erhalten ist. «Die Gletschermumie ist ein besonders interessantes Forschungsobjekt», erläutert Rühli, «denn im Gegensatz zu anderen Mumien ist bei ihr auch ein grosser Teil des Gewebes noch vorhanden.» Eine CT-Untersuchung der Mumie Tutanchamuns vor einigen Jahren brachte beispielsweise keine Klarheit über die Todesursache. «Das Einbalsamieren der ägyptischen Mumien zerstört das Gewebe», so Rühli, «deshalb ist es dort viel schwieriger zu sagen, ob Verletzungen bereits zu Lebzeiten erfolgten oder erst nach dem Tod und der Mumifizierung.»
Auch vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der «Ötzi»-Untersuchung von Bedeutung: «Wir wollen auch in der Paläopathologie die Evidenz erhöhen», sagt Rühli. Die genaue Bestimmung der Todesursache bei «Ötzi» sei ein Schritt in diese Richtung.
Mit der Klärung der Todesursache hat aber der Eismann noch nicht alle Geheimnisse preisgegeben. «Ötzi» bleibt weiterhin ein interessantes Forschungsobjekt. Derzeit werden die Todesumstände und die Fundsituation von Archäologen weitergehend untersucht. Aber auch die CT-Bilder können noch weitere Erkenntnisse liefern. «Aus wissenschaftlicher Sicht wäre ein Vergleich mit früher gemachten Aufnahmen der Mumie interessant», erklärt Rühli. Dies könnte darüber Aufschluss geben, ob und wie sich der Zustand der Mumie verändert, insbesondere, ob Zerfallserscheinungen sichtbar sind.