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Kann man sich an den Krieg gewöhnen? Wohl kaum. Und doch lernt man erstaunlicherweise, damit zu leben – gerade dann, wenn man nie etwas anderes gekannt hat. Man gewöhnt sich an die hässliche Fratze von Katastrophe und Krankheit, ignoriert sie, so gut es geht, um wenigstens ein Restchen Menschsein für sich zu retten, ein Restchen Alltag und Normalität. Die Menschen, die Didier Ruef fotografiert, tun das auf verblüffende Weise. Sie sind Opfer von Völkermord, von Überschwemmungen, von Gewalttaten oder einfach des Vergessens, und sie leben trotzdem weiter, denn das nackte Leben ist ihr einziger Besitz.
Es gibt auf diesen Bildern Dinge, die nicht zusammengehören: Kinderhände, die spielen – nicht mit Kinderspielzeug, sondern mit leer geschossenen Patronenhülsen. In derselben Serie (Angola) stampft eine Frau Hirse, ihr Mörser bildet auf der Fläche des Fotopapiers mit dem Kanonenrohr eines havarierten Panzers ein Kreuz. Es sind solche «Clins d’oeil», wie Didier Ruef sie nennt, flüchtige Momente der Offenbarung und der metaphorischen Verdichtung, die der Fotograf sucht. Die Gewalt ist in seinen Bildern allgegenwärtig, aber niemals direkt sichtbar. Ruef kommt, wenn die News- und Kriegsfotografen bereits weitergezogen sind.
Seine Langzeitreportage, die nun im Völkerkundemuseum in grosser Breite vorgestellt wird, entstand in Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation «Médecins Sans Frontières» von 1989 bis 2001. Ruef hat die Armenärzte immer wieder auf ihren schwierigen Missionen begleitet, ohne allerdings ihre Arbeit ins Zentrum zu rücken. Meist sind die Afrikaner auf seinen Bildern unter sich. «Mich interessiert das Umfeld: Wie es die Menschen schaffen, unter widrigsten Bedingungen zu überleben», sagt er. Ruef zeigt auf ein Bild, auf dem ein beinamputierter Junge Fussball spielt – «das erste, was er mit seinen neuen Krücken tun wollte.»
So gibt es zahllose kleine, aber berührende Geschichten in der Ausstellung, welche die tiefschwarzen Schlagzeilen der Medienberichte um menschliche Nuancen erweitern. Dem Einzelbild traut Ruef wenig zu, er arbeitet in Serien und arrangiert seine Aufnahmen wie in der Ausstellung zu mehrteiligen Essays. Nur so, ist er überzeugt, könnten Bilder einen Einblick – statt bloss einem Anblick – in eine unbekannte Lebenswelt geben. Ruef ist sich den Fallgruben der Afrikafotografie sehr wohl bewusst. So hütet er sich vor plakativer Dramatik, aber ebenso vor pittoresker Hochglanzexotik, ohne jedoch die Schönheit der Menschen zu verleugnen.
Den Vorwurf, er zeichne mit seinen Bildern ein zu pessimistisches Bild von Afrika, weist er zurück. «Ich fotografiere, was ich vorfinde», sagt Ruef. Er sieht sich nicht als Regisseur seiner Bilder, sondern als Beobachter des Alltäglichen in der Tradition der Street Photography. So gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit immer wieder auf überraschende Facetten des Lebens zu lenken, die Krieg und Zerstörung für einen Moment vergessen lassen und eine zutiefst menschliche Sicht auf Afrika ermöglichen. Ruef glaubt, dass Afrika den Schritt aus der Armutsfalle schaffen wird. «Aber es wird lange dauern, vielleicht hundert Jahre. Auch Europa brauchte Jahrhunderte, um die Zeit der Bürgerkriege hinter sich zu lassen.»