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Ältere Menschen sind weniger leistungsfähig und ihr Wissen hoffnungslos veraltet – oder etwa nicht? Veraltet sei höchstens dieses Altersbild, meinte Prof. Eberhard Ulich, ehemaliger Direktor des Institutes für Arbeitspsychologie der ETH Zürich am gestrigen Gerontologietag in der Aula der Universität Zürich (UZH). Leider sei dieses Altersbild in den Unternehmen noch oft anzutreffen.
Die Bereitschaft habe abgenommen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschäftigen. Ihre Aufstiegschancen schwinden mit zunehmendem Alter und sie erhalten weniger anspruchsvolle Aufgaben. «Man kann von einer eigentlichen Altersdiskriminierung sprechen», so Ulich. All dies geschehe allerdings nicht aus böser Absicht, sondern aus mangelndem Wissen über die Leistungsmöglichkeiten älterer Menschen.
Das Wesentliche sehen
Das Älterwerden sei keineswegs mit einem automatischen Abbau der Fähigkeiten verbunden. Ältere Menschen mögen mit Zeitdruck, Komplexität und Verantwortung zum Teil mehr Mühe haben. Die Forschung zeige aber auch, dass sie beispielsweise Informationen zielgerichteter verarbeiten und besser zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheiden können. «Ältere und Jüngere unterscheiden sich in der Gesamtleistung nicht notwendigerweise», so Ulich.
Nötig seien aber altersgerechte Arbeitsbedingungen, war man sich am Gerontologietag einig. Die Diskriminierung könnte angesichts der demographischen Entwicklung ohnehin bald ein Ende finden. Mit dem sich abzeichnenden Arbeitskräftemangel aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge werden nicht Frühpensionierungen die Regel sein, sondern ältere Menschen zur Notwendigkeit auf dem Arbeitsmarkt werden, sagten mehrere Referenten.
«Ohne sie wird es nicht möglich sein, überhaupt noch Wirtschaftswachstum zu realisieren», so Dr. Werner Aeberhardt, Leiter des Ressorts Arbeitsmarkt und Sozialpolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).
«Die Menschheit steht vor der neuen Aufgabe, demographische Alterung und Innovation zu verbinden», formulierte es Prof. François Höpflinger, Lehrbeauftragter für Soziologie an der UZH. Dies werde nicht gelingen ohne die Nutzung der Ressourcen älterer Menschen. «Alt, innovativ und produktiv dürfte zum neuen gesellschaftlichen Programm für Menschen bis etwa 80 Jahren werden.»
Angebote zuwenig genutzt
Flexibilität sei nötig in Fragen des Arbeitens im Alter, lautete das Fazit eines Workshops am Gerontologietag. Den grossen Unterschieden in der Lebenssituation älterer Menschen sei Rechnung zu tragen, betonte auch Prof. Höpflinger: «Nicht jeder ist in der Lage, bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten.» Neue Ideen seien gefragt, indem beispielsweise ältere Menschen als Senior Consultants tätig seien oder Vertretungen bei Mutterschaft übernähmen.
In einer Erhebung bei rund 800 Unternehmen in der Schweiz hat Höpflinger festgestellt, dass viele Unternehmen bereits spezielle Angebote für ältere Arbeitnehmende kennen: Teilzeitarbeit, wenn es in Richtung Pensionierung geht, Stellenwechsel oder mehr Erholungsmöglichkeiten. Einen Mangel sieht er bei Angeboten zu Weiterbildung und Umschulung - «es fehlt eine Bildungspolitik 50 plus». Das Problem sei zudem, dass die vorhandenen Angebote von den Arbeitnehmenden noch zuwenig genutzt werden.
Mehr als Arbeit
Alt und produktiv – der neue Leistungsstress für unsere Senioren? Höpflinger warnte davor, Produktivität nur als Erwerbsarbeit zu definieren. Sie umfasse auch Angehörigenpflege, Freiwilligenarbeit oder beispielsweise das Bemühen darum, die eigene Selbstständigkeit im Alter zu erhalten.
Auf die «einseitige Erwerbsarbeit als Falle» wies auch Prof. Ueli Mäder, Soziologe an der Universität Basel, hin. Nicht Arbeit um der Arbeit willen sei gefragt, sondern eine sinnstiftende Betätigung. «Ich wünsche mir ältere Menschen, die nicht in erster Linie einen überladenen Terminkalender haben, sondern neugierig sind und zuhören können. Diese Fähigkeiten erwirbt man sinnvollerweise allerdings nicht erst im Alter.»
Vontobel-Preis für UZH-Nachwuchs
Im Anschluss an die Tagung wurde der Vontobel-Preis für Altersforschung 2007 verliehen. Ausgezeichnet mit je 15'000 Franken wurde die Psychologin Jacqueline Zöllig sowie die Soziologen Martina Brandt und Klaus Haberkern.
Jacqueline Zöllig ist wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Gerontopsychologie der Universität Zürich. In ihrer Arbeit «Neural correlates of prospective memory across the lifespan» hat sie untersucht, wie es Personen vom Jugendalter bis ins hohe Alter gelingt, Absichten im Gedächtnis erfolgreich zu speichern und auch abzurufen. Die Familien-Vontobel-Stiftung wertet die Arbeit als von «erheblicher praktischer Bedeutung für die Konzeption altersspezifischer Trainingsmassnahmen».
Martina Brandt und Klaus Haberkern sind als wissenschaftliche Assistierende am Soziologischen Institut der UZH tätig. In ihrer Arbeit «Intergenerational help and care in Europe» gingen sie der Frage nach, welchen Einfluss professionelle Angebote für Hochbetagte auf die Hilfeleistungen durch die eigenen Familienangehörigen haben. Sie kommen zum Schluss, dass das Wohlbefinden der Hochbetagten am besten durch eine Kombination aus hoch qualifizierter Pflege und innerfamiliärer Unterstützung gefördert werden kann.