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Brainfair 2007

Das Gehirn herausfordern

Am Montag ist in der Aula der Universität Zürich die Brainfair 2007 eröffnet worden. Professor Jürg Kesselring berichtete in seinem Referat über die Praxis der Neurorehabilitation bei hirngeschädigten Menschen.
Adrian Ritter

Nach einer Hirnschädigung baut sich das Gehirn selber um. Die Neurorehabilitation will dabei für den Patienten ein Umfeld schaffen, in dem optimales Lernen möglich ist, erläuterte Prof. Jürg Kesselring.

Prof. Jürg Kesselring ist Chefarzt des Rehabilitationszentrums im bündnerischen Valens. Die Klinik behandelt Patientinnen und Patienten, die beispielsweise an Multipler Sklerose, Tumoren oder Parkinson leiden oder einen Hirnschlag erlitten haben. Solche Hirnschädigungen führten primär zu einer funktionalen Störung wie einer Lähmung oder beispielsweise einer Sprachstörung, erläuterte Kesselring in seinem Referat «Neurorehabilitation – das flexible Gehirn». Aus den funktionalen Störungen ergeben sich meist Einschränkungen im Alltag sowie bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

«Ziel der Rehabilitation ist es immer, die Selbstständigkeit der Patienten zu fördern, damit diese ihren Alltag besser bewältigen können», so Kesselring. Die Rehabilitation findet dabei als Teamarbeit zwischen Fachleuten aus (Neuro-) Psychologie, Pflege, Medizin und beispielsweise Orthopädietechnik und Sozialdienst statt. Im Zentrum aber steht der Patient. «Dabei interessiert uns vor allem der noch funktionierende Teil seines Gehirns», so Kesselring.

Eröffnete mit seinem Referat die Brainfair 2007: Prof. Jürg Kesselring, Chefarzt des Rehabilitationszentrum Valens.

Malen mit links

Der gesunde Hirnteil hat nämlich die Möglichkeit, Aufgaben des beschädigten Hirnteils zu übernehmen. Der Referent veranschaulichte dies am Beispiel eines Patienten, der vor seiner Hirnschädigung mit der rechten Hand gemalt hatte und dieselbe künstlerische Ausdruckskraft später auch mit der linken Hand erreichte.

«Das Gehirn ist unser Organ des Lernens und kann diese Aufgabe ein Leben lang erfüllen», so Kesselring. Zwar nehme die Zahl der Nervenzellen nach der Geburt kaum mehr zu, neue Verbindungen zwischen den Zellen (Synapsen) seien allerdings bis ins hohe Alter möglich. Man spricht deshalb von der Neuroplastizität des Gehirns: «Nach einer Hirnschädigung baut sich das Gehirn selber um», so der Referent.

Die Wissenschaft erlaube mit bildgebenden Verfahren immer genauere Einblicke in die Aktivitäten des Gehirns. So wisse man heute, dass das Gehirn einem «Orchester» gleiche. Es besteht aus verschiedenen Teilen mit je eigenen Aufgaben - nicht jeder Spieler muss jedes Instrument beherrschen. Nötig ist aber ein Komponist sowie ein Dirigent, eine Aufgabe, die im Gehirn dem «Frontallappen» zukommt. Es ist derjenige Teil des Gehirns, der mit allen anderen Bereichen des Gehirns verbunden ist.

Hilfsmittel wie der «Lokomat» unterstützen Patienten beim Wiedererlernen des Gehens.

Das Verhalten zählt

So hilfreich und wichtig die neuen Einblicke ins Gehirn auch seien, in der täglichen Arbeit in der Klinik stehe das konkrete und von aussen sichtbare Verhalten der Patientinnen und Patienten im Vordergrund, so Kesselring. Danach richtet sich die Planung der Rehabilitation, deren Ziele Patient und Betreuungspersonen gemeinsam formulieren.

Nicht schonende Passivität sei für den Patienten nützlich, sondern eine «herausfordernde Umwelt für das Gehirn». Kesselring ist überzeugt, dass das Lernen als Urtrieb im Menschen verankert ist. Entsprechend müsse die Neurorehabilitation für den Patienten eine Umgebung schaffen, in welcher optimales Lernen möglich ist. Das kann auch die klinikeigene Kletterwand oder ein Hilfsmittel wie der «Lokomat» sein, der Patienten auf einem Laufband beim Wiedererlernen des Gehens unterstützt.

Die Ausdauer der Patienten ist dabei sehr wichtig, denn das Erlernte müsse immer auch eingeübt werden. «Schätzungen sagen beispielsweise, dass eine Million Korbwürfe nötig sind, um im Basketball ein meisterhaftes Niveau zu erreichen», so Kesselring. Eine «Instant-Rehabilitation» könne man daher auch in Zukunft nicht erwarten. Dass Rehabilitation Zeit benötige und personalintensiv sei, davon gelte es auch Geldgeber wie Versicherungen und Krankenkassen immer wieder zu überzeugen.