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Auch für Kriege gelten Regeln, die im Humanitären Völkerrecht festgeschrieben sind. Die Haager Abkommen von 1899 und 1907 regeln beispielsweise, welche Waffen eingesetzt werden dürfen und mit welchen Mitteln Krieg geführt werden darf. In den Genfer Abkommen von 1949 sind Regeln zum Schutz der Kriegsopfer festgeschrieben.
Doch wie alle juristischen Regelungen hat auch das humanitäre Völkerrecht einen Ermessensspielraum. Im Bereich der Kriegsführung führt dies zu der zynischen Haltung, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist. So wurden und werden in aktuellen Konflikten noch immer Waffen und Munition eingesetzt, gegen die Menschenrechtsorganisationen und Völkerrechtler schwerste Bedenken hegen.
Besonders in der Kritik stehen beispielsweise Streubomben (Cluster-Bombs), Munition aus abgereichertem Uran (depleted Uranium, DU) und verschiedene Munitionsformen für Kleinkaliberwaffen, insbesondere Maschinengewehre. An einer vom Politikwissenschaftler Albert A. Stahel an der Universität Zürich organisierten Tagung am 6. Februar, gaben vor allem Cluster-Bomben und DU-Munition zu reden.
Aus juristischer Sicht sind zwei Prinzipien wichtig, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob bestimmte Waffen völkerrechtskonform sind oder nicht, wie der Völkerrechtsprofessor Daniel Thürer einleitend erklärte. Zum einen ist das die so genannte «Rule of distinction»; sie besagt, dass im Kriegsfalle unterschieden werden muss zwischen Zivilbevölkerung und Militärpersonen. Absichtliche Angriffe auf zivile Ziele sind verboten. Das zweite Prinzip, die «Rule of Proportionality», bedeute, dass die im Krieg eingesetzten Mittel und die dadurch verursachten Schäden in einem Verhältnis zu dem militärischen Ziel der Aktion stehen müssen.
Beide Prinzipien sind im Falle der Streumunition in Frage gestellt, wie Paul Vermeulen, Direktor der Menschenrechtsorganisation Handicap International aufzeigte. Streubomben sind so konstruiert, dass eine einzelne Bombe kurz vor dem Aufschlag Dutzende bis Hunderte von kleinen Sprengkörpern über eine grosse Fläche streut. Aus diesem Grund könne Streumunition per Definition nicht zielgenau eingesetzt werden, so Vermeulen. Eine Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen sei kaum möglich, insbesondere wenn die Bomben in besiedelten Gebieten eingesetzt werden.
Zudem lassen die Streubomben immer eine relativ grosse Zahl von Blindgängern zurück. Gebiete, über denen Cluster-Bomben abgeworfen wurden, verwandeln sich so auf Jahrzehnte hinaus in Minenfelder. Noch heute sterben etwa in Südostasien Menschen an Sprengkörpern aus Cluster-Bomben, die in den 70-er Jahren abgeworfen wurden. «Blindgänger von Streubomben haben die gleichen Auswirkungen wie Minen», erklärt Vermeulen. Seine Organisation macht sich deshalb für ein weltweites Verbot, analog zum Verbot von Landminen, stark.
Zwar gibt es internationale Bemühungen, den Einsatz von Streumunition völkerrechtlich zu regeln. So etwa im Rahmen des Abkommens über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen (CCW). Die Schweiz, die auch Streubomben in ihren Armee-Arsenalen lagert, setzte sich für technische Massnahmen ein, die die Blindgängerrate senken sollen.
Solche Blindgänger-Raten könnten jedoch kaum zuverlässig erhoben werden, argumentierte Vermeulen. Zudem würden die von den Waffenherstellern angegebenen Raten in Tests unter Idealbedingungen ermittelt, wie sie in realen Einsätzen nie herrschen. Aus Libanon zeigte Vermeulen beispielsweise nicht-explodierte Munition von Cluster-Bomben, die mit einem Selbstzerstörungs-Mechanismus ausgestattet sind. So sollten sie im Falle eines Versagens des Sprengmechanismus dennoch detonieren. Ein grosser Teil dieser Selbstzerstörungsmechanismen funktionierte aber offenbar nicht, so Vermeulen.
Vermeulen wies auch darauf hin, dass die Wirkung der Blindgänger beim Einsatz von Streubomben bewusst mit eingerechnet werde. Ein solcher Einsatz von Streubomben würde in jedem Fall dem Völkerrecht widersprechen, sagte Urs Saxer, Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Zürich, weil damit keine Unterscheidung zwischen Zivil- und Militärpersonen gemacht werde. Auch Saxer warnte vor einer nur technischen Diskussion der Fragen und plädierte für eine Werte-Diskussion.
Während im Falle der Streubomben weitgehend Einigkeit herrschte, «dass solche Waffen nicht in die Arsenale eines zivilisierten Landes gehören», wie Vermeulen es ausdrückte, wurde Munition aus abgereichertem Uran, so genannte DU-Munition, kontrovers diskutiert. Dabei geht es weniger um die Wirkung, welche die Munition im unmittelbaren Kriegsgeschehen hat, als um die langfristigen Schäden, die die radioaktive Munition anrichten kann.
Emmanuel Egger vom Labor Spiez stellte die Resultate der Messungen vor, die sein Labor im Auftrag der UNO in Bosnien gemacht hatte. Sieben Jahre nach den Kriegshandlungen sei eine radioaktive Kontamination vor allem im Umkreis von ein bis zwei Metern der Einschüsse von DU-Munition festzustellen, erklärte Egger. Generell sei aber keine Überschreitung der Strahlengrenzwerte wegen DU-Munition nachzuweisen. Dennoch hinterlasse die Munition Kontaminationen, die noch lange nach dem eigentlichen Kriegseinsatz vorhanden seien, so Egger.
Ein dritter Themenbereich war der Kleinkaliber-Munition gewidmet, wobei unter Kleinkaliberwaffen in erster Linie Maschinengewehre zu verstehen seien, wie Beat Kneubühl Leiter des Zentrums für Forensische Physik der Universität Bern erklärte. Zwar gibt es bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts internationale Verbote bestimmter Munitionen, die besonders gravierende Verwundungen anrichten. Verboten sind beispielsweise Munitionen, die nach dem Aufprall explodieren, oder Geschosse, die sich im Körper verformen, so genannte Deformationsgeschosse.
Aber auch mit nicht verbotenen Geschossen könne zum Teil die gleiche Wirkung erzielt werden, wie mit verbotener Munition erklärte der Ballistiker Kneubühl. Er plädierte deshalb dafür, dass Verbote nicht nach speziellen Munitionstypen, sondern allein nach der Wirkung eines Geschosstyps im Körper ausgerichtet würden. Entsprechende Diskussionen seien zwar in internationalen Gremien seit Jahren in Gang. Nach dem 11. September 2001 seien sie aber zurückgestellt worden.