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«Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.» – Wer kennt sie nicht, die Zeilen aus Genesis 1, die dem Menschen das Recht zugestehen, die Welt zu regieren. Und es ist vorab diese Textstelle, mit der die christliche Theologie seit Jahrhunderten die Sonderstellung des Menschen als «Krone der Schöpfung» rechtfertigt und belegt.
Sonderstellung? «Die Vorstellung, der Mensch sei dem Tier überlegen, ist jedenfalls nichts Besonderes», meint die promovierte Alttestamentlerin Annette Schellenberg, die mit Unterstützung des Forschungskredits der Universität Zürich an ihrer Habil zum Thema schreibt, «denn sie findet sich auch in vielen anderen antiken Texten.» Dass der Mensch über die Tiere herrschen und sich die Erde untertan machen soll, klingt für uns heute nach Unterdrückung und Ausbeutung der Natur. Doch damals war es die Natur, die den Menschen bedrohte; tödliche Begegnungen mit Tieren gehörten zum Alltag.
«Über Genesis 1 ist schon unendlich viel geforscht und geschrieben worden», sagt Annette Schellenberg, «aber meist hat man dabei den Text isoliert betrachtet oder nur Einzelaspekte der Sonderstellungsfrage behandelt.» Schellenbergs Ziel ist es, die Sonderstellungsfrage in einem viel grösseren Kontext anzugehen. Seit nunmehr gut drei Jahren beschäftigt sich Schellenberg deshalb insbesondere auch mit mittelägyptischen und mesopotamischen Quellen. «Das Alte Testament ist überforscht», sagt die junge Theologin. «Für mein Habilitationsprojekt wollte ich deshalb auf jeden Fall auch altorientalische Texte mit einbeziehen.»
Die mesopotamischen Schöpfungsmythen, so urteilt Schellenberg, zeichnen ein eher düsteres Bild: Erschaffen wird der Mensch, um den Göttern das Joch der Arbeit abzunehmen. Dennoch finden sich bereits in mesopotamischen Texten Hinweise auf eine besondere Stellung des Menschen. Im alten Ägypten kam eine Sonderstellung allein dem König zu. Er galt als Sohn Gottes und als dessen Vertreter auf Erden. Um die besondere Beziehung ihres weltlichen Herrschers zu den Göttern zum Ausdruck zu bringen, nannten die Ägypter den König daher auch «Bild Gottes». Und genau diese Bezeichnung überträgt das Alte Testament dann auf den Menschen. «Gemäss Altem Testament», sagt Annette Schellenberg, «steht also nicht nur der König in besonders enger Verbindung mit Gott, sondern erstmals auch der Mensch.»
Doch welcher «Mensch» war mit dieser Ehrenbezeichnung gemeint? In den weiteren Kapiteln des alttestamentlichen Buches Genesis wurde Schellenberg fündig. «Selbst nach der Sintflut-Episode», erzählt sie, «wiederholt der Bibeltext die Tatsache, dass der Mensch das Bild Gottes sei. Obwohl der Mensch versagt und die Welt ins Chaos stürzt, hält Gott also an dieser Ehrenbezeichnung fest.» Selbst als Sünder repräsentiert der Mensch noch das Göttliche. Und nicht nur «er»: Schon in Genesis 1 heisst es explizit, Gott habe den Mann und die Frau als sein Bild erschaffen. Fazit: Auch Frauen sind laut Bibel Abbilder des Göttlichen, «und diese Aussage ist für die Zeit des Alten Testaments doch sehr bemerkenswert», meint Schellenberg.
Die Theologin geht noch einen Gedankenschritt weiter und verweist auf die Völkertafel in Genesis 10; sie hält die Menschheitsentwicklung seit Noah fest. «Hier ist nicht allein von Israel die Rede, sondern von allen Völkern der damaligen Welt», sagt Schellenberg. «Die Autoren der Genesis waren sich also bewusst, dass mit Mensch nicht nur Männer, Nichtsündige oder Israeliten gemeint waren, sondern ausnahmslos alle Menschen sämtlicher Völker.» Doch wie lässt sich diese so aussergewöhnlich universale Sicht in den ersten Kapiteln der Bibel erklären? Hängt sie mit weltgeschichtlich-politischen Entwicklungen zusammen wie etwa der Entstehung des Perserreichs? Hat sie mit Glaubensentwicklungen wie dem aufkommenden Monotheismus zu tun? Schellenberg sucht nach Antworten.
Gleichzeitig ist es ihre erklärte Absicht, Texte, in denen die menschliche Sonderstellung zum Ausdruck kommt, sinnvoll zu klassifizieren. Um all die Quellen aus unterschiedlichen Zeit- und Kulturräumen vernünftig miteinander vergleichen zu können, hat die Alttestamentlerin im Laufe ihrer Forschungstätigkeit eine eigene Methodik entwickelt. Sie legt ihre Untersuchungen auf drei Achsen an: auf einer vertikalen Achse nach oben, die das Verhältnis vom Menschen zu Gott zeigt, auf einer vertikalen Achse nach unten, die sein Verhältnis zum Tier beschreibt, und auf einer horizontalen Achse, die das Verhältnis zwischen den Menschen darstellt. Ein systematischer Zugang mit breitem Horizont – so lässt sich das Innovative an Annette Schellenbergs Forschungsprojekt in aller Kürze beschreiben. Der breite Ansatz jedoch ist aufwändig und verschlingt viel Zeit. Vor Frühling 2008 werde sie ihre Habilitationsschrift wohl nicht über die Bühne bringen, schätzt die Theologin, «aber», sagt sie, «der Aufwand lohnt sich allemal.»