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Plötzlich ist der Ehepartner, mit dem man ein Leben verbracht und Kinder grossgezogen hat, nicht mehr derselbe. Demenzerkrankungen verändern die Persönlichkeit. Und sie stellen die Angehörigen auf eine grosse Belastungsprobe. Wie kann man mit dem Verlust des Partners, so wie man in gekannt hat, umgehen? Wie angesichts der Krankheit den Alltag gemeinsam bewältigen? Was soll man tun, wenn die Frau oder der Mann zum dutzendsten Mal dieselbe Frage stellt? Oder – ein anderer Fall: Wie kann man der Einsamkeit entkommen, die entsteht, wenn der langjährige Lebenspartner stirbt? Rat in solchen existenziellen Fragen gibt seit rund fünf Jahren die Beratungsstelle «Leben im Alter» (LiA), die dem Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich angegliedert ist. Geleitet wird die Stelle von der Psychologin Bettina Ugolini. LiA ist seit der Gründung der Beratungsstelle selbsttragend; die Infrastruktur wird von der Universität finanziert.
Bettina Ugolini kennt die Probleme und Konflikte, die mit dem Altwerden verbunden sind, nicht nur aus der psychologischen Praxis. Vor und während ihres Studiums arbeitete die gebürtige Deutsche als Krankenschwester im Akutspital, auf der Geriatrie und später als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Zürcher Pflegezentrum Gehrenholz. Erfahrungen aus dem Spitalalltag haben sie denn auch dazu bewogen, sich als Psychologin mit alten Menschen auseinanderzusetzen. «In den Kliniken wird die Zeit immer knapper, um neben den medizinischen Problemen auch auf die Lebenssituationen von Patientinnen und Patienten einzugehen», sagt Ugolini, «ein Gespräch ist aber genauso wichtig wie das Verabreichen von Medikamenten.» Heute kann sie sich in der psychologischen Praxis diese Zeit für beratende Gespräche nehmen. Die Probleme, mit denen sie dabei konfrontiert wird, sind sehr vielfältig.
Neben Angehörigen von Demenzkranken unterstützt und begleitet die Psychologin beispielsweise auch Menschen, die von Zuhause in ein Alters- oder Pflegeheim wechseln und plötzlich mit einer ganz neuen Lebensrealität konfrontiert werden. «In solchen Fällen geht es darum, ein Stück weit Trauerarbeit zu leisten, den Blick nach vorne zu richten und zu schauen, welche Perspektiven sich eröffnen», sagt Bettina Ugolini, «sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte sollen in der Beratung in die Waagschale geworfen werden.»
Mit dem Altwerden der Mutter oder des Vaters beginnen sich oft auch die Rollen zwischen Eltern und Kindern zu verändern. Die hilfsbedürftigen Eltern werden abhängig von ihren Söhnen und Töchtern. Diese Rollenumkehr birgt Konflikte. Immer wieder sind es deshalb – vor allem – Töchter, die bei Bettina Ugolini um Rat suchen. Oft geht es darum, in solchen Gesprächen Schuldgefühle abzubauen. «Wie stark muss ich mich engagieren, und wo kann ich mich abgrenzen – gerade Töchter haben mit solchen Fragen Mühe», meint die Psychologin. Schwierig wird die Situation auch, wenn sich eine Tochter plötzlich wie die Mutter der eigenen Mutter zu verhalten beginnt und deswegen im Heimalltag auffällt. «Die Abhängigkeit der Mutter kann dazu führen, dass die Tochter ihre neue Machtposition unbewusst ausnützt», erklärt Bettina Ugolini, «das ist ganz heikel.» In solchen Fällen kann es sein, dass die Psychologin vom Pflegedienst eines Heims beigezogen wird, um den familiären Beziehungsknoten zu entwirren.
Mit dem – manchmal konfliktreichen – Verhältnis von Angehörigen und Pflegepersonal in Altersinstitutionen hat sich Bettina Ugolini auch wissenschaftlich auseinandergesetzt. Im Rahmen ihrer Dissertation hat sie gemeinsam mit einer Projektgruppe im Stadtzürcher Pflegezentrum Käferberg zwischen 2003 und 2005 ein Konzept zur Angehörigenarbeit entwickelt, umgesetzt und evaluiert. «Angehörige wollen heute in Heimen viel mehr mitreden und mitbestimmen als früher», sagt Altersexpertin Ugolini. Da ist das Pflegepersonal gefordert und manchmal auch überfordert. So kommt es, dass die Pflegenden oftmals nicht die Patienten, sondern die Angehörigen als eigentliches Problem wahrnehmen. Um dieses Verhältnis zu entspannen und Angehörige und Pflegepersonal zu entlasten, hat Ugolini die Situation im Heim analysiert. «Was wird für die Angehörigen konkret getan?», fragte sie. «Und mit welchen Problemen und Herausforderungen werden sie konfrontiert?» Nachdem die Bedarfslage geklärt war, hat sie gemeinsam mit dem Projektteam verschiedene Angebote für Angehörige geschaffen: die Begeitung durch regelmässige individuelle Gespräche etwa, oder Weiterbildungskurse und Gesprächskreise. «Wir haben festgestellt, dass sich die Situation der Pflegenden, was Konflikte mit und Kritik von Angehörigen anbelangt, dadurch massiv verbessert hat», stellt Ugolini fest. Ihr Konzept zur Angehörigenarbeit soll nun in einer etwas reduzierten Form in allen städtischen Pflegezentren umgesetzt werden.
Was Bettina Ugolini an der Beratungsstelle LiA schätzt, ist die Nähe zur universitären Forschung am Zentrum für Gerontologie, in dessen Projekte sie immer wieder involviert ist. Der grosse Teil der Arbeit macht aber die Beratung aus. «Ich bin eben vor allem eine Praktikerin», sagt die Psychologin, «bei reiner Forschungstätigkeit würde mir der Kontakt zu den Patienten zu sehr fehlen.»