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Elisabeth Holzleithner, Sie präsentierten am Kongress «Recht und Gender Studies» an der Universität Zürich einen Streifzug durch die verschiedenen Ansätze der Feministischen Rechtswissenschaften und Legal Gender Studies – wie haben sich diese in den letzten dreissig Jahren entwickelt?
Elisabeth Holzleithner: Man muss die einzelnen Strömungen feministischer Rechtswissenschaften immer im Kontext der Probleme sehen, wie sie sich in bestimmten geschichtlichen Situationen stellen. Vor dreissig Jahren etwa wurden Frauen mit Verweis darauf, dass sie fundamental «anders» seien als Männer aus der Öffentlichkeit gedrängt und ins Privatleben abgeschoben. Darauf antwortete die sogenannte «Gleichheitsdoktrin» mit der Behauptung, das Recht dürfe gar nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden.
Diese Forderung macht Sinn, wenn es um Fragen wie das Wahlrecht oder den Zugang zum Berufsleben geht. Problematischer erscheint sie etwa mit Blick auf die Kindererziehung. Gleichbehandlung kann hier zur Benachteiligung führen. Ungleichbehandlung wiederum mag konventionelle Zuständigkeiten festschreiben, so auf die Art: «Frauen sind eben für die Kindererziehung da.» Die Problematik ist als «Dilemma der Differenz» bekannt und ein Dauerbrenner der Legal Gender Studies.
Weitere Strömungen versuchen, die Tiefendimensionen des Geschlechterverhältnisses auszuloten: Ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen eines, das sich am besten als eine Relation von Dominanz und Unterwerfung beschreiben lässt? Gibt es kulturspezifische Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Und schliesslich: Welche Rolle spielen Unterschiede zwischen Frauen, wie sie sich etwa durch ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder soziale Situation ergeben? Hier gibt es viele offene Fragen.
«Verräterisch und unsicher und fremd und langsam ist das Recht, für Frauen kein Mittel der Wahl», zitieren Sie die prominenteste feministische Rechtswissenschaftlerin Catharine MacKinnon. Für Sie jedoch sind rechtliche Aktivitäten als Mittel zur Gleichstellung der Geschlechter weiterhin erforderlich und ausbaubedürftig. An welche Bereiche denken Sie da vor allem?
Ganz grundsätzlich geht es etwa um die Anerkennung und Durchsetzung von Frauenrechten als Menschenrechten. Es braucht ein wirksames Gleichstellungsrecht im Arbeitsleben und mit Blick auf Güter und Dienstleistungen, das auf strukturelle Diskriminierungen antwortet. Im Ehe- und Familienrecht bedarf es der Gleichstellung von Männern und Frauen jeglicher sexueller Orientierung. Ein ganz besonders wichtiger Punkt sind adäquate Massnahmen zum Schutz vor Gewalt im Nahraum bis hin zum Schutz vor sekundärer Viktimisierung in Gerichtsverfahren gegen Gewalttäter. Das bedeutet, dass Frauen nicht im Verfahren über die Gewalt, die sie erlebt haben, ein weiteres Mal zum Opfer werden dürfen. Die in den letzten Jahren errungenen Verbesserungen der Rechtslage müssen gepflegt und ausgebaut werden.
Ein heikles Thema ist die Rechtslegung bei sogenannter traditionsbedingter Gewalt an Frauen aus nichtwestlichen Kulturkreisen – Stichwort: Zwangsehe, Ehrenmorde oder Genitalverstümmelung. Bei allem Respekt für fremde Kulturen und Traditionen – muss man diese Verletzungen der Menschenwürde nicht einfach strafrechtlich verfolgen?
Selbstverständlich ist das Strafrecht auch ein Mittel, an das man in solchen Fällen denken muss. Es handelt sich immerhin um ganz gravierende Verletzungen der Rechte von Frauen. Allerdings sind die Möglichkeiten des Strafrechts beschränkt. Wichtig wäre es, präventiv zu arbeiten, damit es zu solchen Handlungen gar nicht erst kommt. Da müssten vor allem nichtstaatliche Organisationen, die sich für Frauen in der Migration einsetzen, entsprechende staatliche Unterstützung für ihre Arbeit bekommen, die unter den Betroffenen vermitteln und zu einem Umdenken führen soll. Schliesslich ist ein auch rigides Ausländerrecht nicht hilfreich. Wenn eine Frau, die Gewalt anzeigen möchte, fürchten muss, ausgewiesen zu werden, wird sie wohl kaum riskieren, sich an staatliche Behörden zu wenden.
Soll das Recht eine wesentliche Rolle spielen, um einen positiven Wandel im Geschlechterverhältnis zu bewirken, so müssten «vertrauensbildende Massnahmen» ergriffen werden. Wie muss man sich das vorstellen?
Je besser der Ruf der staatlichen Behörden in geschlechtersensiblen Angelegenheiten ist, desto eher wird sich ein solches Vertrauen bilden können. Ich denke hier etwa an Schulungen von Polizei und Justiz in Fragen häuslicher Gewalt oder mit Blick auf die Behandlung der Opfer von sexuellen Übergriffen.
Welches waren für Sie die wichtigsten Befunde des Schlussplenums?
Im Schlussplenum wurde hitzig über die Frage diskutiert, ob es nicht besser wäre, im Recht überhaupt ohne die Kategorie Geschlecht auszukommen. Das bedeutet, man würde nirgends mehr an das Geschlecht, sondern prinzipiell nur an bestimmte Lebenslagen anknüpfen. Demnach würde es etwa Regelungen geben, die Personen unterstützen, die familiäre Verpflichtungen übernehmen. Ich halte das für eine spannende Idee, bin aber angesichts der anhaltenden Benachteiligung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – noch – skeptisch, ob das ein zielführender Ansatz ist. Diese ganz grundlegende Infragestellung der Brauchbarkeit der Kategorie Geschlecht in den Legal Gender Studies kann allerdings ein wichtiger Punkt für weitere Überlegungen sein.