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Dramatisch geht es in diesen Bildern bisweilen zu und her: Rot und reichlich spritzt das Blut, als der heilige Georg dem gehörnten Drachen seine Lanze in den schuppigen Leib stösst; das Untier röchelt seinen letzten Atemzug, während der Teufel, ein kleines schwarzes Männchen mit Fledermausflügeln, sich verstohlen aus dem Staub macht. Auf einem anderen Bild stehen sich bis auf die Zähne bewaffnete Armeen gegenüber – ein Gemetzel, wie es selbst Steven Spielberg nicht fantasievoller hätte inszenieren können. Die Bilder stammen aus Äthiopien und befinden sich heute in der Sammlung des Völkerkundemuseums der Universität Zürich, einer der umfassendsten ihrer Art.
Viele Motive der in kraftvollen Farben ausgeführten Szenen erscheinen uns weniger fremd als erwartet. Wiederholt taucht etwa Maria mit dem Jesuskind auf, umrahmt von Blumen tragenden Engeln – eine christliche Motivik, die, wenn auch nicht im Stil, so doch ikonografisch an europäische Bildnisse denken lässt. Der Grund dieser Entsprechung: Bereits im 4. Jahrhundert etablierte sich das Christentum als Staatsreligion in Äthiopien – für die Maler in den Skriptorien der Kirchen ein unerschöpflicher Schatz an Geschichten und Motiven. Oft griffen diese bei ihrer Malkunst nicht direkt auf die Manuskripte zurück, sondern liessen sich von eingeführten Drucken inspirieren.
Aber auch Heldenerzählungen und Legenden gehörten zum festen Bildrepertoire der äthiopischen Maler, allen voran die Geschichte der Königin von Saba. Die sagenumwobene schwarze Herrscherin empfing von König Salomon einen Sohn, Menelik, der später gemäss der Legende zum ersten König von Äthiopien gekrönt wurde. In Dutzenden von Einzelszenen erzählt der Maler die Geschichte fortlaufend wie in einem Comic. Fabulierlust und anekdotischer Reichtum zeichnen seine Darstellungen aus. Auf eine Raumillusion wird dabei konsequent verzichtet; vielmehr reihen sich schematisierte, schwarz umrandete Figuren in einem flachen, oft monochromen Bildraum hintereinander.
Während Jahrhunderten waren es die Adligen und der Klerus, die als Auftraggeber der Kirchenmaler fungierten. Prunkvolle Gewänder, Schmuck und Zaumzeug sowie ein idealisierter Blick auf die Helden der äthiopischen Geschichte widerspiegeln den Geschmack der Elite. Ab dem frühen 20. Jahrhundert traten dann immer mehr Fremde – Reisende und Sammler – als Käufer auf. Autodidaktische Maler ohne kirchliche Ausbildung wurden vermehrt tätig und befriedigten die steigende Nachfrage. Die traditionelle Kunst wurde ab den 60er-Jahren immer mehr zur Handels- und Massenware, die Qualität der Bilder sank – erkennbar etwa an den amharischen Schriftzeichen, die in den jüngeren Werken lediglich als Dekor fungieren, aber keine Bedeutung mehr tragen.
Die Ausstellung dokumentiert diese Entwicklungen, beginnend mit den exquisiten Leinwänden aus der Sammlung Charles-Henri Steiner, die der französische Händler zwischen 1927 und 1929 vor Ort erworben hatte, zu einer Zeit also, als die Produktion noch nicht auf die Bedürfnisse des Touristenmarkts zugeschnitten war. Den Schluss des Rundgangs bilden kürzere monografische Darstellungen: Werkserien von fünf ausgewählten Malern, die bis in die jüngere Vergangenheit hinein tätig waren und einen Eindruck von der individuellen Gestaltungskraft einzelner Schöpfer geben.
Die Präsentation wird begleitet von einem reich bebilderten Katalog, der sämtliche Werke verzeichnet, beschreibt und erklärt. Damit verabschiedet sich die Kuratorin der Ausstellung, Elisabeth Biasio, von ihrer langjährigen Tätigkeit am Völkerkundemuseum. Seit 1978 war sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie betreute die Abteilungen Äthiopien, Nordafrika und Naher Osten. Seit 1982 hielt sie sich regelmässig in Äthiopien auf und hat zahlreiche Publikationen zu äthiopischer Kunst verfasst.