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Ein Gott, der sich in Tiere, eine Schildkröte, einen Löwen, einen Fisch verwandelt – diese religiöse Vorstellung entsetzte und faszinierte europäische Reisende zugleich. Zahlreich sind deshalb die bildlichen Darstellungen des indischen Gottes Vishnu und seiner mannigfaltigen Herabkünfte. «Um sich der Schwachheit unserer Sinne begreiflich zu machen, hat er gestattet, dass man ihn unter verschiedenen Gestalten und Bildern verehrt», hatte der französische Naturwissenschaftler Pierre Sonnerat bereits 1782 treffend festgestellt.
Sonnerats präzisen Schilderungen wie auch jene anderer Reisender, Händler und Gelehrter bilden den Fundus, aus dem sich die Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich speist. Stellen sich fremde Völker hier üblicherweise durch ihre eigenen Zeugnisse dar, so ist es diesmal der europäische Blick auf das Fremde, dem die Aufmerksamkeit gehört. Frühe Reiseberichte seien von der Ethnologie lange auf ihre exotisierenden Stereotypen hin untersucht worden, hielt Michael Oppitz, Direktor des Völkerkundemuseums, in seiner einleitenden Rede fest. Nun sei es aber an der Zeit, die Dokumente als das wahrzunehmen, was sie eben auch seien: akkurate Beschreibungen mit dem Ziel, das Fremde einem westlichen Publikum verständlich zu machen.
Oft wurde diese Vermittlungsleistung unter Einbezug von Bildern erbracht. Mit dem Holzschnitt und vor allem dem feineren Kupferstich waren seit dem 16. Jahrhundert die technischen Möglichkeiten gegeben, den behandelten Gegenstand im Buch optisch zu präsentieren. «Die Wirkung des Bildes», führt Ausstellungsmacherin Paola von Wyss-Giacosa aus, «liegt in seiner Direktheit, in der Gleichzeitigkeit der in ihm verdichteten Informationen.» Musste das Bild ästhetisch-künstlerischen Ansprüchen genügen, so wurde es in jener Zeit auch zum Hilfsmittel des wissenschaftlichen Diskurses.
Von der Direktheit und Fantastik der Illustrationen lässt man sich in der Ausstellung gerne verführen; etwa wenn sich der vierarmige Vishnu in seiner ersten Herabkunft aus dem Maul eines Fisches erhebt, nachdem er einen Gegner mit dem Schwert enthauptet hat; oder wenn die Gläubigen auf einer Illustration von 1663 ein bewegliches Reiterstandbild Vishnus durch die Felder tragen. An diesem Beispiel wird die ethnografische Tragweite der Darstellung besonders deutlich: Auf dem beigestellten Foto lässt sich überprüfen, dass sich die Prozession seither kaum verändert und der Beobachter auf eine präzise Wiedergabe höchsten Wert gelegt hat.
Nicht immer war jedoch die Möglichkeit zur direkten Beobachtungen gegeben. Die Stecher griffen deshalb auf bildliche Vorlagen zurück, seien dies indische Miniaturmalereien oder bestehende Darstellungen früherer Autoren. Die jeweiligen Quellen lassen sich aufgrund stilistischer Merkmale identifizieren. So übernahmen die Stecher die massgeblichen Posen bis hin zu den runden, vollen Volumina aus indischen Miniaturen in ihre eigenen Darstellungen. Mit dem impliziten Verweis auf die indischen Vorlagen bezeugten sie zugleich die Authentizität ihrer dokumentarischen Bemühungen.
Auch die Ausstellung ermöglicht dem Besucher immer wieder den direkten Vergleich mit den ursprünglichen Quellen. Indische Pappmaché-Figuren der klassischen zehn Herabkünfte Vishnus sind direkt neben den entsprechenden Illustrationen platziert. So treten die jeweiligen stilistischen Darstellungskonventionen und Transformationen umso deutlicher hervor. Ergänzt wird die Präsentation um eine Vitrine zum Verlagswesen und zum Buchdruck.
Der Ausstellung voran ging eine Publikation, in der sich Paola von Wyss-Giacosa im Rahmen ihrer Dissertation mit einer besonders reichhaltigen Quelle auseinandersetzte: den «Cérémonies et Coutumes religieuses de tous les Peuples du Monde», einer opulenten Anthologie von Bildern und Texten zu den religiösen Bräuchen der gesamten damals bekannten Welt, in sieben Foliobänden zwischen 1723 und 1737 in Amsterdam erschienen. Für die über 200 Kupferstichtafeln der prächtigen Edition war Bernhard Picart verantwortlich, einer der namhaftesten Illustratoren jener Zeit. Von Wyss’ profunde Studie zeigt exemplarisch, unter welchen technischen und ideologischen Bedingungen diese Bilder entstanden. Gleichzeitig bieten der umfassende Bildteil und die zugängliche Sprache ein unterhaltsames Lesevergnügen.