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Ein massiver Maschendrahtzaun, Absperrbänder, schwarze Leintücher – in der Haupthalle der ETH ist eine klaustrophobische Sperranlage entstanden, die ein wenig an jene von Guantanamo erinnert. Sie bildet den schauderhaften Rahmen einer berührenden Ausstellung: der Fotoreportage «Tagebuch einer Exekution» des Luzerner Fotografen Fabian Biasio. In mehreren Dutzend Bildern erzählt die Arbeit die Geschichte von Tina Duroy, die ihren schizophrenen Bruder James Colburn, einen zum Tod verurteilten Mörder, durch die Giftspritze in der texanischen Todeskammer verliert. Biasio zeigt darin anhand eines Einzelschicksals, wie die Todesstrafe in den USA eine zweite Opferfamilie schafft.
Die eindringliche Arbeit beeindruckt nicht durch spektakuläre fotografische Perspektiven und Posen, dafür durch grosse Nähe und Empathie – und bewegte damit das Publikum wie die Fotofachleute gleichermassen: Im Mai 2004 wurde sie an der «Selection vfg», dem prestigeträchtigsten Anlass der Schweizer Berufsfotografie, mit dem «Magazin»-Preis geehrt. «Es gab Leute, die mir davon abgeraten hatten, das Thema Todesstrafe weiterzuverfolgen – zu schwer, zu abgelutscht sei es», erklärt Fabian Biasio. «Aber was will man dann noch fotografieren?»
Biasio blieb dran, hartnäckig, über drei Jahre hinweg. Mehrere Monate verbrachte er in Huntsville, dem texanischen Städtchen, wo mehr Menschen in den staatlich verordneten Tod geschickt werden als irgendwo sonst in den USA. Die ersten Versuche, mit Angehörigen von Todeskandidaten in Kontakt zu treten, schlugen fehl.
Erst bei seiner dritten Reise im November 2002 lernte er Tina Duroy kennen. Sie vereinbarten, dass Biasio sie einige Tage vor, während und nach der Exekution ihres Bruders fotografieren würde. Die so entstandenen Zeugnisse sind erschütternd: Wir sehen Tina beim letzten Telefongespräch mit ihrem Bruder; Tina, wie sie nach vollzogener Exekution (die im Bild ausgespart bleibt) ihren Bruder erstmals seit zehn Jahren wieder berühren darf.
«Die Rolle des Täters will Amnesty mit ihrer klaren Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe in keiner Weise entschuldigt sehen», stellt Claire Muller von der Amnesty International Hochschulgruppe Zürich, der Veranstalterin der Ausstellung, klar. «Vielmehr soll geschehenes Unrecht kein weiteres Unrecht schaffen. Wenn ein Mensch hingerichtet wird, werden die Angehörigen des Täters die nächsten Opfer eines unmenschlichen Justizsystems.» Weil Biasios Fotoreportage ebendiesen Umstand bildkräftig veranschauliche, habe man die Ausstellung, die zuvor auch in verschiedenen amerikanischen Städten zu sehen war, nach Zürich geholt.
Ergänzt wird die Präsentation um Zahlen und Fakten zur Todesstrafe. Demnach wurden seit ihrer Wiedereinführung in den USA im Jahr 1976 insgesamt 1016 Menschen exekutiert. Mehr sind es nur in China und im Iran. An der Spitze steht der Bundesstaat Texas, wo bis zum heutigen Tag 362 Menschen hingerichtet wurden. Die nächste Exekution ist für diesen Freitag angesetzt. Vernissagenredner Daniel Garcia, Vorstandspräsident der Schweizer Sektion von Amnesty International, nutzte denn auch die Gelegenheit, die Anwesenden zur Unterzeichnung von Eilbriefen aufzurufen, um die Hinrichtung doch noch zu verhindern.
Zuvor nahm Helen Keller, Professorin für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Zürich, eine verfassungs- und völkerrechtliche Beurteilung der Todesstrafe in den USA vor. Sie kam zum Schluss, dass die Kapitalstrafe sowohl bei Personen unter 18 Jahren, bei geistig Behinderten (wie im Fall von James Colburn) sowie bei Einschränkung der Verfahrensgarantien (die in den USA immer wieder in Zweifel gezogen werden) unzulässig sei. Der «transnationale Wertekonflikt» erweise sich dabei als das grosse grundlegende Problem.