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Danksagungen gab es an diesem Abend besonders viele: Bei Schau und Buch handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit führenden guatemaltekischen und weiteren Spezialistinnen und Spezialisten auf dem Gebiet der Textilkunst. Peter R. Gerber, Konservator der Amerika-Abteilung, und Gitta Hassler, Gastkuratorin der Ausstellung, bedankten sich insbesondere für die Unterstützung während ihrer Feldforschung in Guatemala im Januar 2005. Denn es galt laut Gerber, offene Fragen zur Datierung und Bedeutung der Motive einzelner Stücke zu klären – eine Aufgabe, die sich wegen des verheerenden Bürgerkriegs, des sozialen Wandels seit der Kolonialzeit und fehlender Informanten als besonders vertrackt erwies.
Erschwerend kam hinzu, was die Sammlung des Völkerkundemuseums einzigartig macht: Ihr Kernbestand gehört zu den ältesten der Welt. Otto Stoll (1849–1922), der Gründungsdirektor der «Sammlung für Völkerkunde» (des heutigen Völkerkundemuseums), brachte Anfang der 1880er-Jahre ein kleines Konvolut besonders feiner Textilien aus Guatemala zurück. Der bedeutendste Sammlungszuwachs erfolgte dann über hundert Jahre später: Mitte der 1990er-Jahre konnte das Museum die 1975 angelegten Sammlungen der beiden Zürcher Textilfachlehrerinnen Verena Gloor und Evelyn Churcher erwerben. Zusammen mit den Raritäten aus der Sammlung Stoll ist das Ganze insofern komplett, dass man nun die historische Entwicklung der Maya-Textilien über einen Zeitraum von beinahe 130 Jahren studieren kann.
Entsprechend sind die Ausstellung und der reich bebilderte Katalog gestaltet: Sie folgen einem geografischen Raster nach Departamentos (Kantonen) und Dörfern sowie einer historischen Gliederung. Generell lässt sich feststellen, dass die Textilien in früherer Zeit einfacher gemustert, die Motive weniger raumgreifend waren – wobei «einfach» relativiert werden muss: Auch frühe Stücke verfügen über derart elaborierte Designs und lebhafte Farbkombinationen, dass die Augen zu flackern beginnen. Der Erfindungsreichtum kennt keine Grenzen: Immer neue Musterstreifen mit abstrakten geometrischen oder figürlich stilisierten Motiven folgen sich in horizontaler Reihung. Besonders faszinierend sind die zahlreichen Tiermotive: Enten, Adler, Schlangen, Affen, Nagetiere und vieles mehr. Sie widerspiegeln die Vielzahl regionaler Kleidungsstile der Maya.
Noch während der Kolonialzeit galt die Regel «Eine Kleidung – ein Ort», wobei laut Gerber unklar ist, inwiefern die Spanier selber diese lokale Ausdifferenzierung gezielt förderten (wie etwa in Peru), um die Indigenen unterscheiden und dem Verwaltungsapparat unterordnen zu können. Heute hingegen herrscht der so genannte Pan-Maya-Kleidungsstil vor: Er setzt sich zusammen aus erkennbaren Kleidungsstücken unterschiedlicher Dörfer, die nichts mit der Herkunft der Trägerinnen zu tun haben. Modische Vorlieben mögen ein Grund dafür sein; der Ursprung liegt aber in der Zeit des blutigen Bürgerkriegs (1960–1996): Damals schützten sich die Frauen vor Verfolgung, indem sie ihre dörflich identifizierbare Kleidung eintauschten gegen eine Kombination von Textilien aus unterschiedlichen Orten. Ein Akt subversiver Camouflage – und für die Ethnologen ein bisweilen undurchschaubares Puzzle, das immer neue Formen, Farben und Muster annimmt.
Die elegant gestaltete Schau (Martin Kämpf, Frank Lenz, Andreas Brodbeck vom Ausstellungsdienst der Universität Zürich) vermittelt all dies auf eingängige und anregende Weise. Auf einen historischen Abriss der Textilentwicklung folgt eine Auslegeordnung der Bestandteile einer Frauen- und einer Kinderbekleidung. Kleidungsstücke von Männern fehlen fast vollständig – diese übernahmen bereits in kolonialer Zeit die Hemden und Hosen der spanischen Handwerker. Und wer Gewissheit darüber erlangen will, wie ein Hüftband-Webgerät funktioniert oder wie sich ein broschiertes von einem lancierten oder gestickten Muster unterscheidet, der kann dies im letzten Teil der Ausstellung tun.
Ebenso wenig wird die Tatsache ausgeblendet, dass die farbenfrohe Kleidung der Mayas in traurigem Kontrast zur sozialen Realität des Landes steht. Der Bürgerkrieg, das Erdbeben von 1976, Hurrikan Stan im letzten Oktober und die ausstehende Landreform sind eine schwere Hypothek für das Land. Die Textilien aber blieben während Jahrhunderten Ausdruck der eigenen Identität und geistigen Unabhängigkeit – ein Zeichen passiven Widerstands und stiller Auflehnung.