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Minderheitenschutz: Vielfalt als Chance

In den knapp 200 Staaten der Erde gibt es rund 12'000 ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten. In kaum einem Land sind die Minderheiten als Gruppe jedoch rechtlich geschützt. Wie diese rechtliche Lücke geschlossen werden kann, darüber diskutierten am Wochenende internationale Experten auf Einladung des Instituts für Völkerrecht der Universität Zürich und des Europa Instituts Zürich.
Michael Frei

Diskriminierung und Nicht-Anerkennung von ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehören zu den wichtigsten Quellen für kriegerische Konflikte innerhalb und zwischen Staaten und nähren den Terrorismus. Der Schutz von Minderheiten ist jedoch nicht nur eine Frage der Sicherheit. Diskriminierung von Minderheiten ist per se schon eine Verletzung der Menschenrechte. Dazu kommen Armut und Unterentwicklung, unter denen Angehörige von Minderheiten oftmals leiden.

Auf Einladung von Professor Daniel Thürer (mitte) diskutierte die hochkarätige Expertenrunde neue Ansätze im Minderheitenschutz.

Sicherheit, Menschenrechte, Entwicklung: UNO-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete in seinem Bericht «In larger freedom» diese drei Werte als tragende Säulen der UNO. Der Schutz der Minderheiten ist aufs Engste damit verknüpft. Trotzdem geniesst er auf universeller Ebene aber kaum rechtliche und politische Aufmerksamkeit. Viele Regierungen verbergen sich hinter dem Souveränitätspanzer vor der Anerkennung von Minderheiten. Sie befürchten, dass das einheitliche Nationenideal oder einfach ihre Macht aufgrund von Dezentralisierung oder Sezession beeinträchtigt wird.

Minderheitenschutz als Chance

Wie Schutz und Förderung von Minderheiten als eine gemeinsame Verantwortung der internationalen Gemeinschaft sichergestellt werden können, war Inhalt des vom Institut für Völkerrecht der Universität Zürich und vom Europa Institut Zürich organisierten Expertenseminars. Unter dem Titel «Minorities and Majorities: Managing Diversity» diskutierten einige der renommiertesten Experten in diesem Bereich, wie Minderheitenschutz als Chance begriffen werden kann. Die Ergebnisse des Seminars wurden in einem Positionspapier festgehalten, das Grundlage für weitere Aktivitäten in diesem Bereich bilden soll.

Der Minderheitenschutz entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einseitig um den Kern des Diskriminierungsverbots. Damit war das Individuum, nicht aber die Minderheit als Gruppe geschützt. Dieses formalrechtliche Gleichheitsgebot führte aber keineswegs zu einer substantiellen Gleichheit für Angehörige von Minderheiten. Nach wie vor sind ihre Chancen, ihre Identität zu erhalten und zu entwickeln oder im politischen Prozess gehört zu werden, schlechter als die der Mehrheit. Auch der Zugang zu Ressourcen ist nicht in gleichem Masse gesichert.

Angesichts einer globalisierten und multikulturellen Welt ist der Minderheitenschutz mit neuen Herausforderungen konfrontiert, denen diese herkömmliche Auffassung nicht gewachsen ist. Darin waren sich die Experten einig. In ihrem Positionspapier forderten sie deshalb ein neues Verständnis, das nicht allein defensiv auf Schutz und Erhaltung ausgerichtet ist, sondern Minderheitenschutz als gestaltete und gelebte Vielfalt versteht.

Vielfalt als als Quelle der Kreativität

Dahinter steht eine vom «Ethos der Vielfalt» getragene Vision der freien Entfaltung von Individuen und Gruppen. Vielfalt soll nicht als Gefahr für die Einheit eines Landes verstanden werden, sondern als positiver Wert, als geistiges und soziales Kapital sowie als Quelle von Kreativität und gegenseitigem Lernen. Sie ermöglicht, den Erfahrungsschatz der verschiedenen Gruppen zu bewahren und besser mit gesellschaftlichen Veränderungen umzugehen.

Wenn die Vielfalt und die freie Identitätsbildung im Zentrum stehen sollen, braucht es die Anerkennung der Minderheiten in ihrem spezifischen Status als Gruppe und die Schaffung von Chancen für diese Gruppen. Die Experten waren sich einig, dass das heikle Spannungsfeld zwischen Gleichbehandlung und Vielfalt nur auf der Basis von institutioneller Gleichheit durch ständigen Dialog zu lösen ist. Die Vielfalt zu bewahren und fördern, würde gemäss dem Positionspapier etwa bedeuten, dass innovative Autonomiestatute für Minderheiten entwickelt werden oder dass Minderheiten durch Repräsentation auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine lautere politische Stimme erhalten.

Schweiz als Beispiel

Die Schweiz als konkretes Beispiel der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens verschiedener kultureller, sprachlicher und religiöser Gruppen kann nach Ansicht der Experten Anregungen für die Lösung der Minderheitenprobleme anderer Länder bieten. Gedacht wurde etwa an Institutionen und Arrangements des Föderalismus, der Autonomie und der aktiven Förderung von Identitäten. Insbesondere wurde das Staatsverständnis der Schweiz als politische Willensnation als ein Konzept gewürdigt, welches anstelle einer ethnischen, kulturellen oder sprachlichen Identität den politisch verstandenen Staatsbürger ins Zentrum stellt.

Mit dem Positionspapier leistete das Expertenseminar einen wertvollen Beitrag in doppeltem Sinne. Erstens zeigt es auf, wie der Minderheitenschutz als Chance begriffen werden kann, um eine Welt mit weniger Gewalt und Armut zu schaffen. Zweitens enthält es konkrete Vorschläge, wie das Minderheitenregime effektiver gemacht werden kann und wo es der Ergänzung bedarf.