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Ausgestorbene Riesenkamele in Syrien entdeckt

Fast zweimal so gross wie heutige Kamele war das ausgestorbene Riesenkamel, das Anthropologen und Archäologen der Universitäten Zürich und Basel in der zentralsyrischen Steppe entdeckt haben.
Brigitte Blöchlinger

Das Riesenkamel lebte vor 60'000 bis 150’000 Jahren vor unserer Zeitrechnung in der Zentralsyrischen Steppe. Gefunden wurde es in der Nähe eines kleinen Dorfes namens El Kowm, zirka 120 Kilometer nordöstlich von Palmyra. Die Gegend bildet eine Art Becken, in dem sich unterirdisch Quellwasser ansammelt, das seit alters Mensch und Tier anzieht. Die Wissenschaftler folgten denn auch den Brunnengrabungen von heutigen Beduinen und stiessen so auf die ergiebige Fundstelle.

Der gefundene Mittelfussknochen (l.) ist fast doppelt so gross, wie der entsprechende Knochen eines heutigen Kamels.

Millionenalter Treffpunkt für Mensch und Tier

Die Knochen sind knapp doppelt so gross, wie sie eigentlich zu erwarten wären. «Wir haben sofort gewusst: das ist eine neue Tierart», freut sich Jean-Marie Le Tensorer, Professor für Urgeschichte an der Universität Basel. Seit bald zwanzig Jahren führt er als Archäologe Grabungen in der Syrischen Steppe durch. El Kowm gilt als eine der ältesten Siedlungsstätten des Nahen Ostens: über zwanzig Kulturenschichten wurden gezählt, die mehr als eine Million Jahre zurückreichen.

Neben dem Basler Urgeschichtler Jean-Marie Le Tensorer gräbt auch die Gruppe des Anthropologen Peter Schmid von der Universität Zürich mit. «Es ist so gut wie sicher, dass wir noch auf Skelette von Menschen stossen werden», ist Schmid überzeugt; er ist auf Hominiden spezialisiert und wurde bereits vor zehn Jahren beigezogen, als die Archäologen in Nadaouiyeh Schädelfragmente eines Homo erectus fanden. Auch neben den Riesenkamelknochen fand man Werkzeuge von Steinzeitmenschen, was den Schluss nahe legt, dass das Riesenkamel möglicherweise von damaligen Jägern gejagt und auch erbeutet worden ist.

Werkzeugfunde legen den Schluss nahe, dass die Riesenkamele von Menschen gejagt wurden: Fundstelle Hummal in der zentralsyrischen Steppe.

Vom Hominiden- zum Kamel-Kenner

Bei der Fundstelle von El Kowm ist Peter Schmid «für alle Knochenfunde verantwortlich», wie der «Menschenkundler» schalkhaft erklärt, also auch für das Riesenkamel. Dank den Bemühungen der Schweizer Botschaft durfte Schmid sogar einige Riesenkamelknochen nach Zürich mitnehmen, um sie hier weiter untersuchen zu können.

Dass es sich bei den Riesenknochen um ein Kamel handelt, verraten die gefundenen Fussknochen: Die Ansätze für die Zehen sind derart weit gespreizt, wie dies nur bei Kamelen zu finden ist. Denn als Anpassung an ihre Lebensweise in sandigen Gebieten können Dromedare und Kamele ihre Zehen extrem ausspreizen, um im weichen Untergrund weniger einzusinken. Ob es sich beim gefundenen Riesenkamel allerdings um ein ein- oder ein zweihöckriges Exemplar handelt, müssen weitere Untersuchungen erst weisen.

Ohnehin weiss man über die Entstehung und die Verwandtschaft von Kamelen wenig. «Dieser Fund ist auch deshalb sensationell, weil er uns bei der Klärung der Evolution der Kamele behilflich sein kann», ist Peter Schmid überzeugt. Vielleicht wird man sogar das Rätsel lösen können, ob zuerst das einhöckrige Dromedar oder das zweihöckrige Kamel lebte.

Die Riesen und der Klimawechsel

Das Riesenkamel hatte eine Schulterhöhe von über drei Metern. «Dieses Kamel war fast so gross wie eine Giraffe», sagt Schmid. Dass das Tier so riesig war, erstaunt Fachleute nicht unbedingt. Denn vor einer Million Jahre waren Riesenformen verbreitet – man denke nur an die Mammuts, aber auch Riesenhirsche und sehr grosse Höhlenbären existierten damals. Weshalb sie alle ausgestorben sind, ist nicht restlos geklärt; am einleuchtendsten ist allerdings die These, dass sie einem extremen Klimawechsel erlagen. Ob das auch beim Riesenkamel der Fall war, versuchen Geologen nun am Fundort aus den Sedimenten herauszulesen.

Kommen auch menschliche Knochen zum Vorschein? Das Grabungsteam wird auch im kommenden Sommer trotz brütender Hitze die Suche fortsetzen.

Die Namensgebung muss warten

Schmid befindet sich in der glücklichen Lage, der neuen Art (die vielleicht gar eine neue Gattung ist) einen Namen geben zu dürfen. Welchen, weiss er noch nicht. Zuerst muss noch so vieles andere getan werden, nicht zuletzt ist Schmid ja auch Lehrbeauftragter für Paläontologie an der Universität Zürich und Konservator am Anthropologischen Museum. Doch nächsten August und September, während der vorlesungsfreien Zeit, geht es zusammen mit einem guten Dutzend Leute wieder nach El Kowm. Unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds – die Ausgrabungen sind Teil eines Nationalfonds-Projekts des Seminars für Ur- und Frühgeschichte der Universität Basel und des Anthropologischen Instituts der Universität Zürich –, werden die Zürcher, Basler und syrischen Experten wieder bei vierzig Grad im Schatten Tag für Tag in der Erde graben. Bis irgendwann, wahrscheinlich, ein Hominide zum Vorschein kommt.