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Herr Professor Müller Nielaba, Ihre erste Tagung, die Sie als ordentlicher Professor des Deutschen Seminars der Universität Zürich organisieren, hat die «Rhetorik der Übertragung» zum Thema. Was muss man sich darunter vorstellen?
Daniel Müller Nielaba: Rhetorik, als die aus der Antike überkommene «ars bene dicendi», hat für die abendländische Literatur schlechthin eine enorm wichtige Funktion; ganz besonders aber für die Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts.
Weil wir da vor der Situation stehen, dass rhetorische Verfahren und Strategien moralphilosophisch eher geächtet werden – denken wir nur an Kants legendäre Schelte der «Rednerkunst», die er für «gar keiner Achtung würdig» hielt –, dieweil sie in der Literatur zeitgleich eher noch aufgewertet werden: Man könnte fast sagen, dass sich über die Rhetorik um 1800 das Verhältnis von Philosophie und Literatur neu und als eine kritische Relation definiert.
Aber nochmals zum Tagungsthema: «Übertragung», ein absolut topaktueller Begriff aus medienwissenschaftlich orientierten Forschungskontexten, wird im allgemeinen befragt als Vorgang des Verschiebens beziehungsweise Verlagerns; im Zusammenhang von Kommunikationsvorgängen versteht man darunter ein indirektes Darstellen.
Witzigerweise ist genau dies letztere nun ein genuin rhetorisches Verfahren par excellence. «Rhetorik der Übertragung» wäre also auch zu übersetzen als «Übertragung der Übertragung». Und damit sind wir am Punkt: Auf der Tagung sollen verschiedene Perspektiven darauf eröffnet werden, wie literarische Texte die Übertragungen von Bedeutungen, die in ihnen stattfinden, selber in Lesbarkeit übertragen.
Es soll also gefragt werden, ob und wie Literatur als ein Medium funktioniert (hat), das zugleich seine eigene Medienwissenschaft, seine eigene Mediologie schreibt. Der Fokus, wie erwähnt, ist der Zeitraum um 1800; ganz aufregend wird es aber sein zu erfahren, ob dieser mediologische Selbstreflex, den man üblicherweise vor allem mit der Literatur der sogenannten «Frühromantik» verbindet, nicht viel früher schon – und auch viel nachwirkender noch – festzustellen ist, so dass wir (einmal mehr) allen Grund hätten, an den Ordnungsmustern der sogenannten «Literaturgeschichte» zu zweifeln.
Die Referentinnen und Referenten, die an der Tagung vortragen werden, sind die meisten Mitte/Ende 40 und repräsentieren die neue Generation Germanistinnen und Germanisten. Deren Beiträge zum Tagungsthema «Rhetorik der Übertragung» wirken auf den ersten Blick recht verschiedenartig, sie reichen von der Vampir-Literatur über Grimmelshausens Simplizissimus bis zu Goethes «Wahlverwandtschaften» – gibt es trotzdem Gemeinsamkeiten?
Aber ja, gewiss: die Gemeinsamkeit liegt eben haargenau in diesem mediologischen Fokus einerseits und in seiner Relationierung mit den Verfahren der Rhetorik andererseits. «Verschiedenartig» sind die Beiträge hoffentlich; insbesondere was die historischen Zeiträume betrifft: Aber das ist ja eben mit die Pointe des ganzen Unterfangens; die Vermutung nämlich, dass die lieb gewordenen historischen Zuordnungen gerade hier erheblich mehr verschleiern als aufklären.
Die Probleme, um es ganz zugespitzt zu sagen, mit denen sich Grimmelshausen, Hamann oder vielleicht auch Goethe in Hinsicht auf die Rhetorik des eigenen Schreibens befassen, sind eben so verschieden nicht von denjenigen, die wir bei Aristoteles oder Quintilian bedacht finden.
Es sind ja übrigens keineswegs einfach Germanistinnen bzw. Germanisten, die sich da zusammenfinden: Etliche kommen aus der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft; diese bildet – das sei laut betont – den wissenschaftstheoretischen Rahmen des Ganzen. Als ein germanistisches Problem lässt sich weder Rhetorik noch Übertragung irgendwie sinnvoll denken; sowenig übrigens wie praktisch alle text- oder darstellungstheoretischen Fragestellungen sich als Einzelsprachenphilologie umsetzen lassen.
Manche der Referenten haben einen (post-)dekonstruktivistischen Ansatz und sind nicht einfach zu verstehen. Bis man den «Vampir als untot-romantisch realisierte Trope des Selbsttransports des Textes aus und in dem ‚Osten’» versteht – um nur einen Referat-Titel zu zitieren –, braucht es einiges an Vermittlungsarbeit. Wird die an der Tagung geleistet? Oder mit anderen Worten: An wen richtet sich die Tagung?
Ja, da haben Sie jetzt natürlich nicht «nur einen» Titel herausgepickt, sondern den diesbezüglich provokativsten und witzigsten schlechthin. Aber klar: Es ist mir gelungen, einige Köpfe zu versammeln, die man in der internationalen Literaturwissenschaft schon mit einem ziemlich elaborierten Theorieverständnis gleichsetzt. Ich gehe aber überhaupt nicht davon aus, dass an der Tagung nun einfach «hardcore»-Dekonstruktion betrieben werden wird: Das wäre ja erstens eine ziemlich altertümliche, schrullige und hinter allen aktuellen Entwicklungen her hinkende Vorgehensweise. Und es würde sich zweitens ganz und gar nicht mit meinen eigenen Forschungsinteressen decken, die zwar ganz klar auf die Frage nach den Möglichkeiten posthermeneutischer Text- bzw Lesekonzeptionen – das sei ganz offen gesagt – hinzielen, die aber eben auch überhaupt nicht in Dekonstruktion, sofern man hierunter ein zur «Methode» geronnenes Verfahren verstehen will, stagnieren sollen.
Natürlich versuche ich, nicht anders übrigens als in meinen universitären Lehrveranstaltungen, dies einem breiteren Publikum zu vermitteln; und ich gehe strikte davon aus, dass dies bei Allen, die auf der Tagung vortragen werden, so zutrifft. Das ist kein Esoterikerzirkel, der sich zum kollektiven Monologisieren zusammenfindet. Aber klar ist schon, dass es gewiss literaturwissenschaftlich, darstellungstheoretisch und mediologisch anspruchsvolle Beiträge sein werden; das damit angesprochene – und herzlich eingeladene! – Publikum sehe ich in erster Linie unter einschlägig interessierten Studierenden, unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs sowie unter Fachkolleginnen und -kollegen aus Zürich und anderswo.
Die Tagung «Rhetorik der Übertragung» findet in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven» statt. Was hat die Tagung mit dem Forschungsschwerpunkt zu tun?
Das Tagungsthema ist ja selber als ein von mir geleitetes Teilprojekt im NFS „Mediality“ vertreten; und über den Fokus „Medienwissen“ ist die Tagung sozusagen ganz direkt mit einem der drei grundlegenden Forschungsfelder des NFS verbunden. Personell gesehen treten Leute auf, die selber ihre Forschungsvorhaben im NFS integriert haben; dazu Leute aus einer interuniversitären (Zürich, Berkeley, Frankfurt a.M) Forschungsgruppe «Übertragung» sowie weitere international profilierte Gäste, die zum Tagungsthema arbeiten.
Den Schlusspunkt der Tagung bildet ein Roundtable-Forum. Worum wird es da gehen?
Ich hoffe, dass es beim Roundtable möglich werden wird, gemeinsame Problemstellungen aus der Tagung zu bündeln und in Hinsicht auf das Tagungsthema so zuzuspitzen, dass Alle nach der Tagung diesbezüglich klüger sind als davor. Man ist ja erst dabei, von der Vorstellung abzurücken, bei medialen Übertragungen werde einfach ein «Gegenstand» verschoben, von A nach B, ohne dass dabei im Medium selber irgendetwas sich vollzöge, sich veränderte. Ich hoffe also, im abschliessenden Forum durch das Gespräch kluger Leute in gemeinsamer Denkanstrengung etwas zur Dynamisierung von «fest»-stehenden Konzeptionen in Hinsicht auf das Medium Literatur zu lernen.