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unipublic: Im Oktober waren Studierende der Universität Halle-Wittenberg (Sachsen-Anhalt) zu einem gemeinsamen Seminar mit Zürcher Studierenden eingeladen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Marcel Senn: Sie begann nach der deutschen Wiedervereinigung. Westeuropäische Rechtshistoriker wollten damals ihre Kollegen im ehemaligen Ostblock unterstützen. Dort war das Bedürfnis nach Öffnung und Austausch sehr gross. Aus den Kontakten zwischen den beiden Professoren Clausdieter Schott in Zürich und Heiner Lück vom Lehrstuhl für Rechtsgeschichte in Halle entstand 1991 ein erstes gemeinsames Seminar für Studierende der beiden Hochschulen. 1998, 2004 und zuletzt im vergangenen Monat fanden weitere gemeinsame Seminare statt, abwechslungsweise in Halle und Zürich.
Unterdessen geht es wohl nicht mehr um die Unterstützung der Kollegen in den neuen Bundesländern?
Im Vordergrund steht heute der kulturelle und wissenschaftliche Austausch. Dies macht auch Sinn, denn Ziel des Studiums der Rechtswissenschaft kann es nicht sein, nur das eigene Recht zu kennen. Vielmehr geht es darum, allgemein anerkannte Regeln zu erlernen, mit denen Konflikte reguliert werden können.
Die Rechtssysteme in Europa sind zwar nicht einheitlich, aber das juristische Denken hat gemeinsame Wurzeln. Oder die Menschenrechte beispielsweise beinhalten weltweit vergleichbare juristische Fragestellungen. Die internationale Zusammenarbeit und Auslandaufenthalte sind daher für Studierende der Rechtswissenschaft sinnvoll und meines Erachtens auch notwendig.
Wie sah und sieht die Rechtsgeschichte in der ehemaligen DDR aus?
Zu DDR-Zeiten gab es einerseits die marxistische Rechtsgeschichte. Andererseits befasste sich eine eher «unpolitische» Rechtsgeschichte mit Themen, die keinen auffälligen Bezug zum Marxismus hatten. Heute ist die Rechtsgeschichte der DDR zwar in den alten Bundesländern ein Forschungsthema, für die Kolleginnen und Kollegen in den neuen Bundesländer ist es aber noch zu früh, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dies ist ein bekanntes Phänomen, das wir beispielsweise bezüglich der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg auch kennen.
In den gemeinsamen Seminaren haben wir auch bemerkt, dass sich die deutschen Studierenden mehr für die Unterschiede zwischen den politischen Systemen von Deutschland und der Schweiz interessieren als für eine DDR-Rechtsgeschichte, die sie selber nicht erlebt haben.
Welche Bedeutung hat die Rechtsgeschichte innerhalb der Rechtswissenschaft?
Wenn von Rechtsgeschichte die Rede ist, darf auch die Rechtsphilosophie nicht vergessen werden. Die Rechtsphilosophie fragt danach, wie Gerechtigkeit jeweils unterschiedlich definiert wird. Die Rechtsgeschichte untersucht dann die rechtliche Umsetzung dieser unterschiedlichen Vorstellungen. Die beiden Fächer zeigen auf, wie Recht entsteht, vergeht und dass es mit der Gesellschaft verbunden ist. Als Juristin und Jurist muss man sich bewusst sein, dass eine konkrete Rechtsordnung immer nur eine mögliche Lösung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ist.
Wie sieht der Stellenwert der beiden Fächer in der Praxis aus?
In Deutschland sind beide Fächer vom Spardruck der Politiker bedroht. Hier zu sparen ist aber der falsche Ort, sofern man den demokratischen Rechtsstaat erhalten will. In der Schweiz besteht bisher keine unmittelbare Gefahr. An der Universität Zürich hatten Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie schon immer einen hohen Stellenwert. Auch im neuen Bachelor/Master-Studiengang bleibt die Rechtsgeschichte ein Pflichtfach, die Rechtsphilosophie ist weiterhin ein Wahlfach.