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Eine mutige Frau und ein nicht leicht verdauliches Thema hatte sich die Alumni Vereinigung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich für ihre erste Veranstaltung ausgesucht. Seit 1999 ist die Schweizerin Carla del Ponte am «International Criminal Tribune for the former Yugoslavia» (ICTY) in Den Haag als Chefanklägerin tätig. Das Gericht hat die Aufgabe, die Verletzungen des Völkerrechtes auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zu ahnden.
Del Ponte ging in ihrem Referat vor allem auf das Verfahren betreffend des Massakers von Srebrenica ein. In der bosnischen Kleinstadt waren im Juli 2005 mehr als 7000 Zivilisten allein wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit von serbischen Militärs ermordet worden. Von serbischer Seite wird dies zum Teil bis heute als Propagandalüge hingestellt.
Für die Chefanklägerin selber ist Srebrenica zu einem Symbol geworden dafür, dass Verbrechen solcher Grössenordnung aufgeklärt und beim Namen genannt werden können: «Es waren Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vor allem war es Völkermord.» 19 Personen sind im Zusammenhang mit Srebrenica angeklagt, rund 1000 Zeugen bis heute befragt und bisher drei rechtskräftige Urteile erlassen worden.
Srebrenica ist aber nur eines der laufenden Verfahren des ICTY. Seit das Gericht 1993 durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates ins Leben gerufen wurde, sind 84 Anklagen gegen insgesamt 162 Personen erhoben worden. 45 Personen sind inzwischen rechtskräftig verurteilt worden.
Sieben Personen sind noch auf der Flucht, darunter Radovan Karadzic, der ehemalige Führer der bosnischen Serben, sowie der serbische General Ratko Mladic. Sie werde am 15. Dezember dem UN-Sicherheitsrat Bericht erstatten, weshalb dies der Fall sei und erwarte «starke Reaktionen der Internationalen Gemeinschaft». Für den in Haft sitzenden Slobodan Milosevic rechnet del Ponte bis Ende 2006 mit dem erstinstanzlichen Urteil.
Um die Schuld der Angeklagten zu beweisen, wertet die Anklage unter anderem Videoaufnahmen, den damaligen Funkverkehr des Militärs und beschlagnahmte Dokumente aus. Zentral sind aber vor allem die Aussagen von Zeugen.
Im Strafverfahren ursprünglich nicht vorgesehen und von Carla del Ponte zu Beginn mit Skepsis aufgenommen sind die so genannten «plea agreements». Dabei können Angeklagte mit einem geringeren Strafmass rechnen, wenn sie ein Geständnis ablegen und mit dem Gericht kooperieren. «Dadurch haben wir schon Hinweise erhalten, die für das Verfahren sehr wertvoll waren», so del Ponte.
Obwohl die Verfahren noch «in voller Fahrt» sind, sei das Ende in Sicht. Bis Ende 2008 sollen alle erstinstanzlichen Urteile und bis Ende 2010 alle rechtskräftigen Urteile vorliegen. Damit ist die Arbeit allerdings nicht erledigt. Schon jetzt werden erste Verfahren an lokale Gerichte in Bosnien, Serbien und Kroatien abgegeben. Diese sollen die Arbeit weiterführen und werden dazu vom ICTY, beispielsweise bei der Ausbildung von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern, unterstützt. Del Ponte zieht somit ein positives Fazit aus dem Bestehen des ICTY. Die Verfahren seien fair und «bieten den Opfern zugleich ein Forum, um über das Erlebte und Erlittene öffentlich Rechenschaft abzulegen zu können».
Ob sie gewisse gesprochene Haftstrafen nicht für zu gering erachte, wurde die Referentin vom Publikum gefragt. Durchaus, so del Ponte, allerdings sei das wohl die Erfahrung vieler Staatsanwälte, dass das Gericht unter dem geforderten Strafmass bleibt. Da müsse sie sich auch distanzieren, denn die Verantwortung für das effektive Strafmass liege nicht bei ihr als Anklägerin, sondern beim Gericht.
In einer weiteren Wortmeldung aus dem Publikum wurde die Rolle der damals in der Region von Srebrenica stationierten rund 300 holländischen UN-Blauhelme kritisiert. Aufgrund des bevorstehenden serbischen Truppenaufmarsches hatten diese Srebrenica verlassen, nachdem sie ihrerseits keine Verstärkung von der internationalen Gemeinschaft erhalten hatten. «Kann man sie dafür wirklich moralisch verurteilen?», fragte Del Ponte.
Ein Zuhörer wollte wissen, woher sie ihre Motivation für die anspruchsvolle Aufgabe nehme. «Sie kommt aus dem Kontakt mit den Überlebenden», antwortete del Ponte. Als Chefanklägerin sei sie für die Überlebenden zum Symbol für Justiz und Gerechtigkeit geworden. Dies sei ihr bei einem Besuch bei den Frauen von Srebrenica bewusst geworden, die an sie den dringenden Wunsch richteten: «Bringen Sie Milosevic nach Den Haag!»