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Hildegard Elisabeth Keller geht es um die «Lust am Text». Und wäre Roland Barthes, dem Philosophen und Verfasser eines gleichnamigen Buches, zu Ohren gekommen, wie sich diese Lust bei ihr und ihren Studierenden ausdrückt, hätte er seine wahre Freude daran gehabt. Die Lektüre mittelalterlicher Texte wird mit allen Sinnen erfahrbar gemacht. Die Assistenzprofessorin für Ältere deutsche Literatur hat mit Studierenden Hartmanns von Aue Roman «Erec» zu einem Hörbuch verarbeitet. In dieser «âventiure vür dazôre», wie die CD heisst, vernimmt man die grosse Freude der neun Studentinnen, die die Geschichte vom Ritter schildern, der seine Geliebte so sehr liebte, dass er darob seine Ritterpflichten vergass. Er minnete si sô sêre! Da wird vielstimmig auf mittel- und neuhochdeutsch erzählt, gesungen, gelacht, kommentiert und gestaunt. Und wenn es zum finalen Kampf kommt, legen die Frauen los, dass wir die Schwerter schlagen hören: er gap slac umbe slac, daz slac neben slage lac.
Keller geht es auch um den besonderen Lerneffekt, der im kreativen Nachvollzug liegt. «Die Medialität der mittelalterlichen Literatur bleibt oft ein theoretisches, dunkles Konzept», erklärt sie. Bei der CD- und Booklet-Produktion konnten die Studierenden das Performative des Romans aus dem 12. Jahrhundert am eigenen Leib erfahren und vertieft verstehen. Bei so viel Schöpfungskraft wird man natürlich neugierig auf Kellers nächstes Projekt. Es entspriesst ihrem Nationalfondsprojekt über den Zürcher Arzt und Theatermacher Jakob Ruf: sie realisiert zusammen mit einem Forscherteam und Studierenden eine Ausstellung im Strauhof (Eröffnung im März 2006).