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Sich in die Zukunft erinnern – wie soll das gehen? Den meisten Leuten ist gar nicht bewusst, wie häufig sie sich im Alltag nach vorne und nicht in die Vergangenheit erinnern. «Etwas über die Hälfte der Gedächtnisaufgaben im Alltag sind prospektiver Natur», schätzt der Gerontopsychologe Matthias Kliegel, der die II. Conference on Prospective Memory im Kongresshaus Zürich (25. bis 27. Juli 2005) mit organisiert hat. Einige Beispiele: Frau Schwarz stellt die Espressomaschine auf den Herd, schaltet die Herdplatte ein und will nur schnell die Post durchschauen, um anschliessend Kaffee zu trinken – und schreckt, völlig versunken in einen Zeitungsartikel, auf, als der Kaffee kochend über den Rand geschwappt ist. Oder Herr Schwab sollte jeden Morgen eine Pille nehmen, vergisst es aber die Hälfte der Zeit. Oder Frau Blöchlinger versucht sich seit Jahren rechtzeitig an den Geburtstag einer Freundin zu erinnern und schreibt ihr regelmässig erst Wochen nach Termin die Glückwunschkarte, die jeweils so anfängt: «Leider habe ich auch dieses Jahr vergessen, rechtzeitig …»
Die Situationen, in denen Menschen auf ihr prospektives Gedächtnis angewiesen sind, sind zahlreich. Und sie verändern sich im Laufe eines Menschenlebens stark. So fassen bereits Kleinkinder bestimmte Absichten und setzen diese dann unmittelbar um (zum Beispiel den Lieblingsteddy holen und einem auf Besuch weilenden anderen Kind zeigen – gelegentlich «vergessen» auch sie ihre ursprüngliche Absicht und lassen sich von anderem, zum Beispiel einem Ball, ablenken). Ab wann Kinder auch weiter in die Zukunft reichende Absichten realisieren, ist eines der vielen Forschungsprojekte, die am Psychologischen Institut der Universität Zürich am Laufen sind. Je älter die Kinder sind, desto weiter reicht ihr prospektives Gedächtnis; welche neurophysiologischen Prozesse dabei beteiligt sind, zeigte die Zürcher Gruppe um die Psychologin Jacqueline Zöllig an der Konferenz.
Während das prospektive Gedächtnis von Kindern noch wenig erforscht ist, weiss man mittlerweile über das nach vorne gerichtete Erinnern im Alter Einiges. So ist es denn nicht von ungefähr, dass der Lehrstuhl Gerontopsychologie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich zur II. International Conference on Prospective Memory eingeladen hatte.
Um die Gedächtnisleistungen älterer Menschen zu untersuchen, kommen unter anderem bildgebende Verfahren im neurowissenschaftlichen Bereich zum Zug sowie Experimente, die das Verhalten testen, verknüpft mit Resultaten aus Untersuchungen mit der Elektro-Enzephalographie (EEG). Die internationale Gruppe um die Zürcher Psychologin Melanie Zeintl stellte ihre Experimente mit 65- bis 80-jährigen vor; die Hypothese, dass sich der Alterungsprozess und insbesondere das nachlassende Arbeitsgedächtnis (working memory) stärker auf das prospektive Gedächtnis auswirken als auf das freie Erinnern, konnte die Gruppe dabei bestätigen.
Die Forschung dazu, wie normale Menschen sich an Zukünftiges erinnern, ist noch jung, und das, obwohl die Gedächtnisforschung an den Universitäten eine lange Tradition besitzt. «Die Gedächtnisforscher hatten diesbezüglich Scheuklappen auf», findet Matthias Kliegel vom Psychologischen Institut der Universität Zürich. Kliegel leitet zusammen mit Mike Martin eine Arbeitsgruppe, die sich seit einigen Jahren mit dem prospektiven Gedächtnis beschäftigt. Zürich sei mittlerweile führend auf dem Gebiet des prospektiven Gedächtnisses, schätzt er die Situation ein.
Doch alleine muss die hiesige Universität nicht forschen, das zeigte die gut besuchte Konferenz im Kongresshaus. Die Forscherinnen und Forscher stammten aus aller Herren Länder –auch der asiatische Raum war gut vertreten –, und die meisten nahmen die Konferenz auch als Möglichkeit wahr, bestehende Kontakte zu vertiefen. Ein grosser Teil der vorwiegend jungen Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer schien sich bereits zu kennen, und mehr als einer Begrüssung war anzusehen, dass man sich prospektiv aufeinander gefreut hatte.