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In 848 einzelnen Mäppchen ist der Nachlass des Mikrobiologen, Arztes und Wissenschaftsforschers Ludwik Fleck gesammelt. Anfang Juli sind die Texte, Fotos und zum Teil bisher unveröffentlichten Manuskripte in der Semper Sternwarte, dem Sitz des Collegium Helveticum, eingetroffen. Es handelt sich einerseits um Dokumente aus Flecks Fachbereich, der Medizin, und andererseits aus dem Bereich der Erkenntnistheorie.
Fleck betonte insbesondere, dass wissenschaftliches Denken im Kern als sozialer Prozess zu verstehen ist. Wissenschaftliche Tatsachen werden gemäss Fleck in «Denkkollektiven» entwickelt, die einen bestimmten «Denkstil» anwenden.
Das gesammelte Wissen von Fleck selber soll nun öffentlich zugänglich gemacht werden, wie Gerd Folkers als Leiter des Collegium Helveticum am vergangenen Donnerstag bei der Gründung des Ludwik Fleck Zentrums (LFZ) bekannt gab. Man werde den Nachlass öffentlich zugänglich machen, um «das zu demokratisieren, was Ludwik Fleck hinterlassen hat». Damit solle verhindert werden, dass Wissen verloren geht oder vernichtet wird.
Folkers sprach damit die bewegte Lebensgeschichte des jüdischen Wissenschafters an. Fleck war 1941 ins jüdische Ghetto in seinem Geburts- und Wohnort Lemberg und später in die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald deportiert worden. Nach der Befreiung siedelte er 1945 nach Polen über, wo er Direktor der Abteilung für medizinische Mikrobiologie an der Universität Llublin und Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften wurde.
1957 emigrierte Fleck mit seiner Frau nach Israel, um näher bei seinem Sohn leben zu können. Er wurde Direktor des Instituts für experimentelle Pathologie am Israel Institute for Biological Research. In jener Zeit wurde Prof. Marcus Klingberg sein engster Freund und nach dem Tod von Fleck 1961 auch dessen Nachlassverwalter.
Klingberg zeigte sich anlässlich der Eröffnung des Zentrums beeindruckt vom Tempo, das angeschlagen worden war. Nur gerade ein Jahr habe es gedauert von der Idee bis zur Verwirklichung des Zentrums. Er hoffe, das LFZ werde nicht nur zu einem schweiz- und europaweiten, sondern zu einem weltweiten Zentrum.
Immerhin stellt Klingberg gegenwärtig einen «neuen Höhepunkt der Anerkennung von Flecks Ideen» fest. Dies war nicht immer so. Die erkenntnistheoretischen und wissenschaftssoziologischen Beiträge von Ludwik Fleck sind zu seinen Lebzeiten wenig beachtet worden. Erst in den 1970er Jahren stieg das Interesse an seinen Schriften.
Geleitet wird das neue Zentrum am Collegium Helveticum von Johannes Fehr, Titularprofessor an der Universität Zürich und stellvertretender Leiter des Collegium Helveticum. Durch den Aufbau eines Online-Archives soll der Nachlass von Fleck gemäss Fehr baldmöglichst öffentlich zugänglich gemacht werden. Das Zentrum solle zu einer «Drehscheibe, einem Ort der Vernetzung der Forschung zu Fleck» werden. Für 2006 ist bereits ein internationales Symposium geplant.
Flecks Denken soll gemäss Fehr auch für den Blick auf die heutige Wissenschaft verwendet werden und über das LFZ beispielsweise in die Lehre an den Zürcher Hochschulen einfliessen.