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Das Ich sei nicht Herr im eigenen Haus, schrieb einst Sigmund Freud und spielte damit auf den Einfluss des Unbewussten auf unser Handeln an. Wie biologische Faktoren unser Verhalten beeinflussen, zeigt nun eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Zürich in der aktuellen Ausgabe der renommierten Wissenschaftszeitschrift «Nature». Die beiden Zürcher Ökonomen Ernst Fehr und Michael Kosfeld sowie der klinische Psychologe Markus Heinrichs zeigen darin, dass das körpereigene Hormon Oxytocin das Vertrauen in unsere Mitmenschen erheblich erhöht. «Die Resultate sind der erste grosse Erfolg des universitären Forschungsschwerpunkts ‹Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens›, aus dem heraus diese Kooperation entstanden ist», sagt Ernst Fehr.
Dass Oxytocin hilft, soziale Nähe herzustellen und Partner aneinander zu binden, haben amerikanische Wissenschaftler bereits vor einigen Jahren in Experimenten mit Präriewühlmäusen festgestellt. Die graubraunen Pelztiere aus der amerikanischen Steppe sind Meister der Monogamie – nach einer ersten Liebesnacht bleiben sie sich ein Leben lang treu. In den Belohnungsarealen im Gehirn der Tiere haben die Forscher eine auffällige Dichte von Oxytocin-Rezeptoren gefunden. Sie konnten belegen, dass das Hormon wesentlich an diesem Bindungsverhalten beteiligt ist.
Auch für den Menschen hat das Neuropeptid, das in der Hirnanhangdrüse abgesondert wird, eine wichtige Funktion. Oxytocin wird während des Stillens und während des Orgasmus ausgeschüttet. Es gilt als typisches «Frauenhormon», weil es die geburtserleichternde Kontraktion der Gebärmutter, aber auch das Einschiessen der Milch in der Mutterbrust bewirkt.
Trotz des Wissens, das man aus Tierexperimenten gewonnen hat, wurde bislang wenig untersucht, wie sich Oxytocin auf das menschliche Verhalten auswirkt. Umso bedeutender sind deshalb die Forschungsresultate der aktuellen Studie der Zürcher Forscher. Ausgangspunkt war ein ökonomisches Vetrauensexperiment: 132 Probanden wurden in zwei Gruppen aufgeteilt – in Investoren und Treuhänder, die zu Beginn des Versuchs je über 12 Franken verfügten. Der Investor konnte nun 0, 4, 8 oder 12 Franken dem Treuhänder übergeben, worauf der Betrag verdreifacht wurde. Im Idealfall verfügte der Treuhänder nach diesem Transfer also über 48 Franken.
Den Gewinn konnte er mit dem Investor teilen, er konnte ihn aber unfairer Weise auch für sich selbst behalten und den Geldgeber leer ausgehen lassen. Im Wissen darum musste der Investor zu Beginn des Experiments also auf das Wohlwollen des Gegenübers vertrauen. Dass das Hormon Oxytocin diese Vertrauensbildung beeinflusst, zeigt die Studie auf eindrückliche Weise. Während 45 Prozent der Probanden, die mittels eines handelsüblichen Nasensprays Oxytocin inhalierten, in höchstem Mass in ihr Gegenüber vertrauten und entsprechend den grössten Geldbetrag überwiesen, taten dies in einer Placebo-Gruppe lediglich 21 Prozent.
Um den Einwand zu entkräften, auch Alkohol oder Beruhigungspillen führten dazu, dass Menschen bereit seien Risiken einzugehen, variierten die Forscher in der Folge ihr Experiment. Der Treuhänder wurde durch einen Computer ersetzt, der per Zufallsprinzip entschied, welchen Geldbetrag der Investor zurückbekam. Die Investoren wurden darüber informiert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von Verlust oder Gewinn ist. «Zentral ist, dass sich der Computer gleich verhalten hat, wie die Treuhänder im vorangegangenen Experiment», erklärt Ernst Fehr, «das heisst, die objektive Risikosituation ist mit derjenigen im Vertrauensspiel identisch.» Dennoch konnten die Forscher in dieser Konstellation keine Wirkung von Oxytocin feststellen. Die Effekte des Hormons sind sehr spezifisch. Fehr: «Das Hormon wirkt nur, wenn es um das Vertrauen in Menschen geht – das ist erstaunlich.»
Interessant ist auch die Feststellung, dass das Neuropeptid im Experiment das Verhalten der Treuhänder nicht beeinflusst hat. «Oxytocin erhöht die Reziprozität nicht» weiss der Wirtschaftswissenschaftler, «wenn ihnen Vertrauen entgegengebracht wird, erwidern die Teilnehmer, die Oxytocin bekamen, dieses nicht durch besondere Grosszügigkeit.»
Die Resultate der Oxytocin-Studie sind für Ernst Fehr weitere Bausteine für ein realitätsnahes Modell von Wirtschaftsakteuren, an dem er arbeitet. «Wir untersuchen die biologischen Grundlagen ökonomischen Verhaltens, aber auch das Zusammenspiel von Emotionen und Vernunft, das dabei eine Rolle spielt.» In einem weiteren Schritt wollen die Forscher nun mit Hilfe von bildgebenden Verfahren die Hirnregionen untersuchen, die durch Oxytocin aktiviert werden. Um weitere geplante Projekte hüllt Fehr jedoch den Mantel des Schweigens. Denn er ist sich sicher, dass nach der «Nature»-Publikation einige Forscher auf den Zug aufspringen werden. «Ich erwarte einen Boom», sagt er.