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Peter Sloterdijk, der wohl bekannteste deutsche Philosoph und Moderator der Sendung «Das Philosophische Quartett», sprach am Freitag, den 27. Mai an der Universität Zürich. Entsprechend gross war der Publikumsandrang in der Aula.
Sloterdijk bemühte am Beginn seiner Rede das Bild eines alten, in Lethargie versunkenen Europas, dem ein junges und dynamisches US-Amerika gegenübersteht. Doch die USA müssten verstehen, dass das heutige Europa Imperien, Helden, Macho-Wahn und einen genuinen Gestaltungsenthusiasmus hinter sich gelassen habe. Laut Sloterdijk ist Europa nun endlich in der post-unliateralen, post-historischen und globalisierten Welt angekommen. Nicht so jedoch das Amerika des George W. Bush.
Jede Amerikanerin und jeder Amerikaner habe auch heute als Mitglied eines «auserwählten Volkes» die Pflicht, den amerikanischen Traum weiterzuträumen. In dieser «Dynamokratie» gelte der universale Code des Optimismus, in dem jedes Problem primär als Herausforderung verstanden werde. Im Kampf gegen Widrigkeiten zu unterliegen gelte als unamerikanisch, deshalb werde versucht, in «nationalen Mobilmachungen» alles Deprimierende wegzudenken und wegzuräumen. Sloterdijks Fazit: Amerika ist «das Land des real existierenden Eskapismus».
Es sei aber unvermeidlich, dass das Hässliche immer wieder in die «US-amerikanische Verklärungssphäre» eindringe. Neu sei aber, dass Amerika jetzt nicht mehr bloss als Schiedsrichter in die laut Sloterdijk im Zwanzigsten Jahrhundert ohnehin zu einem Ende gekommene Geschichte eingreife, sondern in einem neuen Restaurationsbestreben das Recht beanspruche, weltweit Demokratie und Marktwirtschaft durchzusetzen, nötigenfalls mit Gewalt.
Die US-amerikanischen Strategen hätten dabei aber übersehen, dass seit der Ära des Kalten Krieges die gegenseitige Hemmung der Politik ein elementares Merkmal der von Sloterdijk so genannten «posthistorischen Weltordnung» sei. Die USA legitimieren ihr Vorgehen weiterhin mit den Geschehnissen des 11. September 2001. Von anderen Gesellschaften würden die USA aufgrund ihres Vorgehens zunehmend als «Fremdkörper im moralischen Ökosystem» wahrgenommen. Das auserwählte Volk werde immer einsamer.
Ohnehin sähen führende amerikanische Intellektuelle, so Sloterdijk, heute die Vormachtstellung der USA akut gefährdet. Der wirtschaftliche Vorsprung sei seit der Nachkriegszeit weitgehend von Europa und Japan aufgeholt worden. Der Mittelstand verarme zusehends, immer mehr Menschen würden Drogen als «chemische Flucht» vor der Wirklichkeit konsumieren. Die sozialen Probleme im Land seien in der Tat gross, doch würden die Menschen in Amerika versuchen, «durch Depressionsvertuschung und innere Bilanzfälschung» ihren Glauben an den Traum und ihren Optimismus weiterhin aufrecht zu erhalten. Eine von Gott auserwählte Nation dürfe einfach nicht zum 3.-Welt-Land werden.
Die Welt des westlichen Konsumismus ist laut Sloterdijk ein grosses Treibhaus, ein Kristallpalast, dessen Verwaltung die Aufgabe der Weltpolitik sei. Die Aussengrenzen dieses aktuellen Weltsystems seien aber noch immer durch die Präsenz amerikanischer Truppen markiert. Es stelle sich somit die Frage, ob es «den Europäern als stillen Teilhabern» jemals gelingen werde, sich von den USA zu emanzipieren.
Nach Sloterdijks virtuosen Ausführungen stellte sich letzlich aber die Frage, ob man an diesem Abend nicht bloss Zeuge einer philosophischen Sprach-Performance geworden war. Schliesslich war bei aller begrifflichen Kreativität und allem rhetorischen Aufwand kaum zu erkennen, was nun aus den elaborierten Analysen zu folgern sei. Doch Sloterdijk erhebt allem Anschein nach auch gar nicht den Anspruch, Einfluss auf das alltägliche politische Geschehen zu nehmen.