Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

 

Wie der Lämmergeier zum Bartgeier wurde

Ob Artenschutzprogramme wahrgenommen und akzeptiert werden, hängt zum grossen Teil von einer guten Öffentlichkeitsarbeit ab. Dies erläuterten Experten am Dienstag im Rahmen des 17. Umweltforschungstages am Beispiel von Bartgeiern und Luchsen. Die Bedeutung der Wahrnehmung für die Artenvielfalt zeigte zudem eine Studie zur Pflanzenvielfalt.
Marita Fuchs

Erst unlängst stand der Bartgeier im Zentrum des medialen Interesses. Denn erstmals in der Schweiz wurden ausgesetzte Bartgeier mit kleinen Satellitensendern versehen. Damit soll mehr über die Streifzüge von Jungtieren und die Wanderflüge von Bartgeiern in Erfahrung gebracht werden. Der Bartgeier stand am Dienstag auch im Mittelpunkt des ersten Referats am 17. Umweltforschungstag an der Universität Zürich. Dr. Jürg Paul Müller, Direktor des Bündner Naturmuseums und Co-Projektleiter der Bartgeier-Wiederansiedlung Schweiz, berichtete über die erfolgreiche Wiederansiedlung des in den Alpen vollständig ausgerotteten Bartgeiers. Mit einer Zuchtpopulation begann man im Jahre 1981, und mit der Auswilderung der ersten Tiere im Jahre 1986.

Betonte die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit für Wiederansiedlungsprojekte: Jürg Paul Müller

Der Bartgeier mit seiner Flügelspannweite von fast drei Metern und den feuerrot leuchtenden Augen sei ein eindrücklicher Bewohner der Alpen und werde von den Menschen mit Freude beobachtet, erklärte Müller. Das Freilassen junger Zuchtvögel werde denn auch regelmässig mit einem Fest begangen, an dem Freibier und Blaskapelle nicht fehlen.

Keine Konflikte mehr mit Bauern und Jägern

Dieses positive Echo in der Öffentlichkeit führt Müller darauf zurück, dass das ursprünglich negative Image des raubenden Lämmergeiers vollständig überwunden werden konnte. Der Name «Lämmergeier» sei konsequent vermieden worden und durch aktive Öffentlichkeitsarbeit wurde bewusst gemacht, dass der Geier keine Lämmer reisst, sondern sich weitgehend von Aas und den Knochen toter Tiere ernährt. Deshalb gebe es auch keine Konflikte mehr mit Jägern oder mit Bauern, die um ihre Tiere fürchteten. Die professionelle Öffentlichkeitsarbeit sei darum auch weiterhin für ihr Projekt sehr wichtig, betonte Müller.

Der Luchs als Medienstar ...

Von der Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit für den Erfolg eines Wiederansiedlungsprojektes berichtete auch Andreas Ryser, Projektleiter bei KORA-LUNO, das die Wiederansiedlung des Luchses zum Ziel hat. Luchse seien bereits seit den 70er-Jahren freigelassen worden. Dabei habe es zu Beginn sowohl offiziell genehmigte, als auch inoffizielle Freilassungen gegeben. Diese Freilassungen wurden allerdings nicht von einer Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Betroffene Bauern und Jäger etwa wurden nicht informiert. Das habe zu einem gewissen Misstrauen gegenüber den Behörden geführt, meinte Ryser.

Machte den Luchs zum «Medienstar»: Andreas Ryser

Bei der Wiederansiedlung des Luches in der Ostschweiz seien die Projektverantwortlichen bewusst anders vorgegangen. Die offensive Öffentlichkeitsarbeit habe sogar dazu geführt, dass zum Beispiel der Luchs «Turo», der auch in die Stadt Zürich wanderte, zum Medienliebling geworden sei.

... und im Fadenkreuz

Trotz des Medieninteresses würden Luchse aber weiterhin verfolgt. Projektleiter Ryser schätzt, dass auf jeden Luchs einmal im seinem Leben geschossen werde. Häufig würden bei Luchsen, die bei Verkehrsunfällen verunglückten, auch Verletzungen entdeckt, die von einem Schuss herrühren. Auf die Bemerkung eines Teilnehmers aus dem Publikum, dass die Wildhüter über die Ansiedlung des Luches in der Ostschweiz schlecht informiert gewesen seien, antwortete Andreas Ryser, dass sie mit Flyern, Broschüren und im Internet intensiv informiert hätten. Er zeigte sich offen, die Informationspolitik noch einmal zu überdenken. Dazu brauche es aber auch auf der anderen Seite auch offene Ohren.

«Pflanzenblindheit»

Nicht um medial vermittelte, sondern vom menschlichen Bewusstsein gesteuerte Wahrnehmung ging es im Vortrag von Dr. Petra Lindemann-Matthies, die sich am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Zürich damit befasst, wie die Bevölkerung biologische Vielfalt wahrnimmt. Die menschliche Wahrnehmung sei sehr selektiv und werde sowohl von Vorlieben als auch von Vorkenntnissen geleitet. Im Gegensatz zu Tieren würden besipielsweise nur wenige Pflanzen bewusst wahrgenommmen. Der weitaus grösste Teil der Flora werde ignoriert oder lediglich als Dekorationsobjekt betrachtet. Lindemann-Matthies sprach sogar von einer «Pflanzenblindheit». Ein nachhaltiger Schutz biologischer Vielfalt sei aber nur möglich, wenn er auf eine breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit stosse.

Leiden Menschen unter «Pflanzenblindheit»? Dieser Frage geht Petra Lindemann-Matthies nach

Artenerhalt durch geschärfte Sinne

In einer Untersuchung der Universitäten Zürich und Marburg waren die Versuchspersonen aufgefordert, aus 67 Wiesenarten ihre Lieblingswiese zusammenzustellen. Dabei zeigte sich, dass Laien artenreichere von artenärmerer Vegetation unterscheiden können und dass grosser Artenreichtum auch von Laien positiv bewertet wird. Je artenreicher eine Pflanzengemeinschaft war, desto besser gefiel sie den Testpersonen. Hingegen fielen den Testpersonen graduelle Unterschiede im Artenreichtum nicht auf.

Eben deshalb, vermutet Lindemann-Matthies, würden die Menschen den schleichenden Verlust an pflanzlicher Vielfalt in unserer Umwelt nicht wahrnehmen. Schulungen der Pflanzenkenntnis könnten den Blick schärfen und damit einen Beitrag zum Erhalt biologischer Vielfalt leisten.

Weiterführende Informationen