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Der erste Alumni-Tag der Universität Zürich von 2004 trägt Früchte. Absolvierende des Studiums der Sonderpädagogik äusserten damals den Wunsch, auch weiterhin von Impulsen aus Lehre und Forschung am Institut für Sonderpädagogik (ISP) profitieren zu können. Das ISP organisierte deshalb den ersten Fachtag, zu dem sich 120 Fachpersonen aus sonderpädagogischen Einrichtungen, Beratungsstellen, Sprachheilschulen, Schulpsychologischen Diensten und Hochschulen anmeldeten.
Die «Kluft zwischen Wissen und Handeln» sollenäher angeschaut werden, sagte Professor Wilfried Schley bei der Begrüssung. In Referaten, Workshops und einem Podiumsgespräch wurde ein Überblick gegeben über den Stand der Forschung zu Themen wie der Qualitätssicherung im sonderpädagogischen Handeln, der Arbeit mit verhaltensauffälligen Jugendlichen, dem Bild von Menschen mit Behinderung in den Massenmedien oder theoretischen Grundlagen des Faches.
Dr. Ralf Wetzel, Diplomkaufmann der Technischen Universität Chemnitz, präsentierte einen systemtheoretischen Blick auf Behinderungen. Diese können gemäss Wetzel zu Belastungen der Interaktion zwischen den Teilsystemen Psyche und Kommunikation führen. Besonders stark zeige sich dies beim Autismus, wo die Kommunikation aufgrund der Behinderung so stark belastet wird, dass sie zu zerfallen droht.
Nicht immer einfach sei auch das Verhältnis zwischen den Systemen Sonderpädagogik und Wirtschaft. Auf der Suche nach Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung gelte es daher für Integrationsberater, Anschlusspunkte an die Logik der Wirtschaft zu suchen. Um diese besser verstehen zu können, sollten gemäss Wetzel bereits Studierende der Sonderpädagogik Seitenwechsel in die Wirtschaft erleben.
Professor Andrea Lanfranchi, Lehrbeauftragter am ISP und an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH), berichtete in seinem Referat über eine neue Studie zu den «Zuweisungsmechanismen zu sonderpädagogischen Massnahmen». Untersucht wurde, aufgrund welcher Kriterien sich Schulpsychologinnen und Lehrer für integrative (z.B. Beratung, Stützunterricht) oder separative Massnahmen (Sonderklasse, Sonderschule) aussprechen.
Eine Umfrage in sechs Kantonen zeigte, dass die Zuweisungspraxis «sehr heterogen und wenig konsistent ist». Beeinflusst ist sie unter anderem von diskriminierenden Vorurteilen - mit dem Resultat, dass Kinder aus der Unterschicht sowie Migrationskinder bei identischer Problemlage häufiger separiert werden. Lanfranchi plädierte dafür, dass solche Entscheidungen von Schulpsychologischen Diensten zu treffen seien, was noch keine Selbstverständlichkeit sei. Nötig sei zudem eine zweite Beurteilung durch eine Fachinstanz auf Gemeinde- oder Kantonsebene.
Um das Verhältnis von Theorie, Forschung und Praxis ging es auch beim abschliessenden Podiumsgespräch. Dr. Beatrice Kronenberg äusserte als Direktorin der Schweizerischen Zentralstelle für Heilpädagogik (SZH) im Zusammenhang mit der Bologna-Reform die Befürchtung, dass die Hochschulen auf Kosten anderer Kompetenzen noch vermehrt die Vermittlung von Fachkompetenz betonen werden.
Viel Wissen könnte gemäss Kronenberg auch in den sonderpädagogischen Institutionen abgeholt werden. «Sinnvoll wäre, gemeinsam mit den Institutionen neue Formen zu entwickeln, wie dieses Wissen genutzt werden kann.» Angela Cantieni-Hepting , Bereichsleiterin eines sonderpädagogischen Zentrums, sagte, die Praxis sollte umgekehrt auch offen sein, sich auf Theorien einzulassen. «Aber wir brauchen Zeit, denn mit Kindern macht man keineExperimente.»
Wie schnell und wie radikal sich die Sonderpädagogik verändern soll, ergab einigen Gesprächsstoff, wie Podiumsmoderator Professor Wilfried Schley feststellte. Für Ursula Hoyningen-Süess, Gastprofessorin am ISP, kann gerade die Wissenschaft dazu beitragen, Prozesse der Veränderung «möglichst human zu gestalten».
Das Ziel des Austausches zwischen Berufspraxis und Universität scheint der Fachtag erreicht zu haben. Teilnehmerin Daniela Dittli auf jeden Fall äusserte sich zufrieden. Die Bereichsleiterin einer sonderpädagogischen Schule mit Internat hatte vor sieben Jahren ihr Studium am ISP abgeschlossen. Seither hat sie sich mit Fachzeitschriften und Büchern über den Stand von Theorie und Forschung informiert: «Eine Tagung ist allerdings schon angenehmer, als immer nur zu lesen.» Sie habe einen guten Überblick und vielfältige Inputs erhalten, um sich weiter mit bestimmten Themen zu beschäftigen, in ihrem Fall vor allem mit der Qualitätssicherung und dem Umgang mit Wissen in Institutionen.