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Verrat an der Blut-Hirn-Schranke

Bei Multipler Sklerose attackiert das Immunsystem Strukturen im Gehirn wie einen Fremdkörper und richtet so schwere Schäden an. Forschern der Universität Zürich ist es nun gelungen, bislang unbekannte «Verräterzellen» an der Blut-Hirn-Schranke zu identifizieren, die dem Immunsystem die Angriffspunkte im Gehirn zeigen. Die Arbeit wurde in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift «Nature Medicine» publiziert. Sie ist ein wichtiger Schritt für eine mögliche Bekämpfung der Multiplen Sklerose, aber auch anderer Gehirnerkrankungen wie Alzheimer oder Tumoren.
Felix Straumann

Die Erkenntnisse von Prof. Burkhard Bechers Forschergruppe werden vermutlich auch bei anderen Gehirnerkrankungen hilfreich sein.

Normalerweise gehört das Immunsystem zu den «Good Guys», das den Körper vor Eindringlingen schützt: Es beseitigt Fremdkörper, bekämpft Mikroben und behindert Viren bei der Vermehrung. In seltenen Fällen läuft dabei aber etwas schief, und Immunzellen werden zu Tätern, die den eigenen Körper schädigen. Genau dies passiert bei der Multiplen Sklerose (MS), der häufigsten entzündlichen Erkrankung des Zentralen Nervensystems.

Alleine in der Schweiz leben über 10'000 MS-Patienten, in Deutschland sind es rund 120’000. Die heimtückische Krankheit trifft meist junge Erwachsene und kann bislang nicht geheilt werden. Forscher gehen heute davon aus, dass eine fatale Abwehrreaktion bei den MS-Patienten die Erkrankung auslöst: Das Immunsystem stuft Strukturen im Gehirn als Fremdkörper ein und greift diese an. Besonders betroffen von der Immunattacke ist die Nervenisolierung, das so genannte Myelin. Die Folge sind Entzündungen in Gehirn und Rückenmark, die bei den Betroffenen zu erheblichen Behinderungen führen können.

Helfer-T-Zellen werden zu «Tätern»

Die eigentlichen Täter, die die Immunattacke auf das Gehirn einleiten, sind eine bestimmte Sorte von weissen Blutzellen (Helfer-T-Zellen). «Solche autoreaktive Zellen können wir bei uns allen finden, beispielsweise im Blut. In der Regel zetteln diese Zellen aber kein Unheil an und tolerieren unser Gehirn», sagt der MS-Forscher Burkhard Becher von der Universität Zürich. «Wenn diese aber einmal aktiviert werden, brauchen sie Verräterzellen, die ihnen ihr Opfer in Gehirn und Rückenmark zeigen», so Becher.

Neuroimmunologe Prof. Dr. Burkhard Becher von der Universität Zürich.

Die Verräter, die den Ausbruch von MS erst herbeiführen, sind so genannte «antigenpräsentierende Zellen». Bechers Forschungsteam hat nach diesen im Gehirn gesucht, dort wo sie MS-Forscher schon seit bald zwanzig Jahren vermuten. Die Suche blieb vorerst erfolglos. Becher: «Wir waren ziemlich frustriert.» Die Forscher verdächtigten nun so genannte «dendritische Zellen», die in anderen Geweben wie zum Beispiel Haut oder Lymphknoten als antigenpräsentierende Zellen vorkommen. In geringer Zahl wurden sie auch schon an der Blut-Hirn-Schranke gefunden – was jedoch von vielen Wissenschaftlern in Zweifel gezogen wurde. Die Zürcher Neuroimmunologen konnten nun zeigen, dass diese Verräterzellen tatsächlich den Helfer-T-Zellen den Weg weisen. Dadurch haben sie gleichzeitig die unter MS-Forschern verbreitete Ansicht widerlegt, dass bestimmte Gehirnzellen als Verräter agieren.

Bessere Kenntnis der dendritischen Zellen gefragt

Die soeben in der Fachzeitschrift «Nature Medicine» erschienene Arbeit zeigt, dass dendritische Zellen für die Krankheitsentstehung bei Multiple Sklerose absolut notwendig sind. «Das Ziel ist nun, die Verräterzellen so zu manipulieren, dass das irregeleitete Immunsystem das Gehirn zukünftig ignoriert», sagt Becher. Doch die Entdeckung der Verräterzellen führt weiter: «Im Gegensatz zu anderen Organen, wo dass Immunsystem ständig nach Fremdkörpern sucht, verhindert die Blut-Hirn-Schranke solche Inspektionen. Trotzdem scheint das Gehirn relativ gut geschützt vor Infektionen», erklärt Becher. Die dendritischen Zellen an der Blut-Hirn-Schranke könnten dabei eine wichtig Rolle einnehmen. Ein tieferes Verständnis dieser Rolle würde die Bekämpfung von Infektionen und anderen Gehirnkrankheiten erleichtern.

Die dendritischen Zellen helfen auch, die vorläufigen Ergebnisse der Alzheimer-Impfung zu erklären: In klinischen Versuchen unter anderem an der Universität Zürich konnte gezeigt werden, dass das Fortschreiten der Demenzkrankheit durch Impfung gegen Gehirnablagerungen gebremst werden kann. Allerdings traten dabei als schwere Nebenwirkung Hirnentzündungen auf. «Für die Nebenwirkungen verantwortlich ist im Prinzip eine künstlich ausgelöste Autoimmunreaktion gegen die Alzheimerablagerungen», erklärt Becher. Auch für die Bekämpfung von Hirntumoren seien jetzt neue Strategien mit Beteiligung des eigenen Immunsystems denkbar. «Jetzt geht’s erst los», freut sich Becher.

Felix Straumann ist Wissenschaftsjournalist und Mitarbeiter bei unicom Media.