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unipublic: Herr Geissmann, was fasziniert Sie an Gibbons?
Thomas Geissmann: Als ich mit dem Studium begann,wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich mit lebenden Tieren arbeiten wollte. Damals hatte die primatologische Forschung am Anthropologischen Institut der Universität Zürich noch einen morphologischen Schwerpunkt. Bei meinen Besuchen im Zoo Zürich war ich fasziniert von den Gesängen der Gibbons ( Gibbon Sound Gallery). Da diese Primaten und die Funktionen ihrer Gesänge damals noch kaum erforscht waren, wollte ich mich mit dieser eher vernachlässigten Gruppe der Menschenaffen auseinandersetzen.
Über Gibbons weiss man im Allgemeinen weniger als über andere Menschenaffen wie zum Beispiel Gorillas, Orang-Utans oder Schimpansen. Wie erklären Sie sich das?
Geissmann: Bei Menschenaffen denken die meisten Menschen an die von Ihnen genannten grossen Arten. Diese fallen schon allein aufgrund ihrer Körpergrösse mehr auf und sind mit dem Menschen auch näher verwandt. Die kleinen Menschenaffen, zu denen die zwölf bisher bekannten Gibbonarten gehören, standen und stehen deshalb trotz ihrer akuten Bedrohung lange nicht so stark im Vordergrund wie ihre grossen Vettern. Die Gibbons sind trotzdem dem Menschen nah verwandt und recht ähnlich. Sie leben beispielsweise in monogamen Familiengruppen, bewegen sich am Boden immer zweibeinig und weisen damit Ähnlichkeiten zum aufrechten Gang der Menschen auf. Zusätzlich sind ihre langen, melodiösen Gesänge das beste Modell für die Evolution der menschlichen Musik.
Gibbons sind unter anderem deshalbnicht so populär, weil sie sich nicht leicht beobachten lassen. Denn im Gegensatz zu Schimpansen und Gorillas leben sie nicht am Boden, sondern in den Baumkronen schwer zugänglicher Regenwälder. Gibbons bewegen sich auch sehr schnell. Es gibt zudem von den meisten Gibbonarten keine habituierten, also an den Menschen gewöhnte Wildtiere, die sich zum Beispiel für einen Tierfilm eignen würden.
Sie konnten nachweisen, dass viele Gibbonarten vom Aussterben bedroht sind. Sind dadurch Interesse und Engagement für diese Tiere gewachsen?
Geissmann: Leider nicht. Weder Naturschutzorganisationen noch Medien greifen das Thema auf, obwohl meiner Einschätzung nach die Gibbons zu den am stärksten bedrohten Primaten der Welt gehören. So kommt der in Vietnam lebende Cao-Vit-Gibbon nur noch in einem einzigen Waldstück an der chinesischen Grenze vor – der Bestand umfasst total 28 Individuen. Vor meiner letzten Expedition fragte ich mehrere Fernsehanstalten an, ob sie interessiert seien, einen Film über die seltenste Menschenaffenart der Welt im Dschungel von Hainan zu drehen. Diese Tiere wurden noch nie gefilmt. Zu meinem Bedauern stiess ich auf keinerlei Interesse. Zwar gibt es einige Stiftungen, die meine Forschungsexpeditionen unterstützten, aber man müsste vor Ort viel mehr für den Bestand der Gibbons tun.
Welche Massnahmen sind nötig und sinnvoll?
Geissmann: Das hängt vom jeweiligen Gebiet ab. Allgemein lässt sich sagen, dass der Schutz der Gibbons mit aktivem Naturschutz zusammenhängt, denn ihre favorisierten Lebensräume sind die Flachland-Wälder, die auch am ehesten von Menschen ausgebeutet und zerstört werden. Will man den Wald schützen, muss man der Bevölkerung, die den Wald traditionell zur Jagd und zur Holzgewinnung nutzt oder als Siedlungs- und Ackerland für sich beansprucht, Alternativen anbieten.
Bestehen denn fördernswerte Projekte?
Geissmann: Gewiss. Auf der China vorgelagerten Insel Hainan gibt es zum Beispiel ein Naturschutzgebiet mit einer Gibbonpopulation. Die lokale Regierung will den Gibbonbestand erhalten und hat Parkwächter eingestellt, die die Tiere beobachten und zählen. Als ich allerdings bei meiner letzten Exkursion nachzählte, stellte ich fest, dass entgegen der Angaben der chinesischen Parkbehörde die Population abgenommen hatte. Es war schwierig, allen Beteiligten klar zu machen, dass noch mehr zum Schutz der Tiere unternommen werden muss. Da relativ klar ist, dass die Tiere dort nicht gejagt werden – auf Gibbonjagd stehen in China mehrere Jahre Gefängnis –, liegt die mangelnde Vermehrung vermutlich an der Qualität des Waldes. Die für die Tiere interessanten Futterplätze sind wahrscheinlich zu selten und liegen zu weit auseinander. Deshalb sollten brache Zwischenflächen mit Futterbäumen (insbesondere Ficus-Arten) bepflanzt werden, um Waldlücken zu schliessen. Eine Baumschule existiert bereits und die Futterbäume sollen im nächsten Jahr ausgepflanzt werden. Der Arbeits- und Finanzaufwand ist allerdings bei so einem Projekt sehr gross.
Zum Schutz der Gibbons wurde auf Ihre Initiative hin vor einem Jahr die Gibbon Conservation Alliance (GCA)gegründet. Welche Strategie verfolgt die GCA?
Geissmann: Die GCA besteht aus einem Dutzend Studierender am Anthropologischen Institut der Universität Zürich und etwa einem Dutzend Vereinsmitglieder aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Wir möchten Geld sammeln und damit die Leute vor Ort unterstützen, damit sich der Naturschutzgedanke durchsetzen kann und Schutzwälder eingerichtet und auch von der Bevölkerung akzeptiert werden. Die GCA ist die erste Organisation, die sich spezifisch dem Schutz der Gibbons widmet.