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Wie ein Schlag. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Der Tod ist plötzlich ganz nah. Der fettleibige Mann, der eben noch dem Berggipfel entgegenkeuchte, innehielt und den Schweiss von der Stirn wischen wollte, ist mitten auf dem Weg zusammengebrochen. Ein beängstigender, massloser Schmerz in der Brust hat ihn jäh zu Boden geworfen. Schuld ist ein kleines Gerinnsel, verklumpt mit Zellen und fetthaltigem Material, das seine Herzkranzgefässe total verstopft und den Infarkt ausgelöst hat. Gelangt der Mann nicht innerhalb kurzer Zeit in ein Spital, stirbt sein Herzmuskelgewebe ab – ein lebensbedrohlicher Prozess. Patienten mit einer derartigen Vorgeschichte gehören zu den Notfällen, die in den drei Herzkatheterlabors des Universitätsspitals Zürich behandelt werden. Wo früher kaum mehr getan werden konnte, als Ruhe und Schonung zu verordnen, greifen Ärzte heute – als Alternative zum medikamentösen Versuch, das Gerinnsel aufzulösen – sehr erfolgreich mit «akuter Intervention» ein. Jährlich erleiden 30 000 Menschen in der Schweiz einen Herzinfarkt. Kommen sie rechtzeitig zur Behandlung, überleben 90 Prozent der Patienten den Infarkt. Damit ist die Chance, einen Herzinfarkt zu überstehen, fünfmal mal höher als noch vor 50 Jahren.
Der Erfolg liegt an einer Methode, deren weltweiter Siegeszug 1977 im Universitätsspital Zürich begann. Die Ballonerweiterung, im Fachjargon perkutane transluminale Koronarangioplastie, kurz PTCA, genannt, führen die Kardiologen am Universitätsspital heute im Jahr etwa 1000-mal durch. Ziel ist, die verstopfte Stelle im Herzkranzgefäss durchgängig zu machen. Das Elegante an der Methode: Es ist unnötig, den Brustkorb aufzusägen oder das Herz stillzulegen. «Es handelt sich um einen minimal invasiven Eingriff», erklärt Willibald Maier, stellvertretender Leiter der Invasiven Kardiologie. Der Patient erhält lediglich eine örtliche Betäubung, wenn ihm der Herzkatheter durch einen kleinen Schnitt in der Leistengegend eingeführt wird. Die Ärzte schieben den feinen Kunststoffschlauch durch die Beinarterie vorsichtig Richtung Herz. Ziel ist das verstopfte Herzkranzgefäss.
Ob das Ziel erreicht ist, kontrollieren die Kardiologen mit Hilfeeiner gewaltigen Apparatur, die ihren Hals über Ärzte und Patient beugt: Die Angiographie-Anlage. Diese Röntgen-Technik liefert Schwarzweiss-Bilder vom schlagenden Herzen und den Herzkranzgefässen auf einen Fernsehbildschirm. Damit sich die Blutgefässe vom Hintergrund abheben, wird über den Herzkatheter ein Kontrastmittel verabreicht. So werden die verzweigten, gewundenen Bahnen sichtbar, gleich Ästen eines Baumes. Nur eine einzige Stelle an diesem Lebensbaum bleibt hell, hier kam das Kontrastmittel nicht vorbei. Den Weg hat der Blutpfropfen versperrt, der den Herzinfarkt auslöste. Um das Blutgerinnsel zu entfernen, wird ein dünner Draht durch die verstopfte Stelle geschoben und dahinter ein winziger Ballon aufgeblasen. Er soll verhindern, dass Gerinnselmaterial tiefer in das Herzgewebe hineingespült wird. Der Inhalt des kurzfristig stillgelegten Gefässes wird schnell abgesaugt. Der Erfolg ist auf dem Bildschirm zu sehen: Das Herzkranzgefäss ist wieder durchgängig, die dunklen Zweige des Baumes wieder vollständig.
Damit das Blut die Stelle auch künftig ungehindert durchströmt, muss das Gefäss gedehnt werden. Hierzu wird ein Ballon direkt in der kritischen Stelle der Arterie aufgeblasen. Anschliessend wird eine winzige Stütze aus Edelstahl, der Stent, eingepflanzt. Das metallene Röhrchen kann zudem mit Medikamenten beschichtet sein, die die Bildung von Narben verhindern. Nach gut einer Stunde ist der Eingriff beendet. Übrig geblieben ist das abgesaugte Material. Was für den Körper ein lebensbedrohlicher Blutklumpen war, ist für Willibald Maier und seinen Teamkollegen Lukas Altwegg ein kostbares Gut. Denn in dem Material verbirgt sich das Geheimnis des Herzinfarkts.
Die Mediziner untersuchen die in den Proben enthaltenen Zellen und chemischen Botenstoffe in Labortests. Sie versprechen sich von ihren Tests ein besseres Verständnis der krankmachenden Vorgänge im Herzen, die zur Arterienverkalkung und letztlich zum Herzinfarkt führen können. Besonders begehrt ist dabei das C-reaktive Protein, CRP. Es ist bereits bekannt, dass das Eiweiss bei Entzündungsprozessen im Blut auftaucht und die Körperabwehr stimuliert. Bei einem Herzinfarkt scheint das CRP jedoch ebenfalls eine Rolle zu spielen. Glaubte man nämlich noch bis vor kurzer Zeit, dass im Blut enthaltene Fette, die Cholesterine, die einzig Schuldigen seien, richtet sich der Blick heute zunehmend auf unterschwellige Entzündungsprozesse in den Herzkranzgefässen.
Zwar gehört der erhöhte Cholesterinspiegel unverändert zur Liste der bekannten Risikofaktoren wie Übergewicht, Zuckerkrankheit oder negativer Stress. «Die Entzündung scheint jedoch von grösserem Einfluss, als bisher angenommen», so Maier. Demnach wird zwar Cholesterin in die Gefässwand eingelagert. Im Inneren dieser Plaque kommen aber offenbar entzündliche Prozesse hinzu. Abwehrzellen werden angelockt und dringen in die Arterienwand ein. Das Gefäss verliert seine Elastizität, und die innere Auskleidung der Ader wird marode. Zudem strapazieren Zucker, Nikotin und andere Gifte im Blutstrom das Gefäss und schädigen das dünne Häutchen über der Plaque. Bricht das Häutchen auf, bildet sich in Sekundenschnelle ein tödliches Gerinnsel.
Bisher konnte man das Infarktmaterial nur bei Verstorbenen entnehmen. Dort lag der Herzinfarkt aber bereits Stunden zurück. «Diese nachträglichen Befunde hatten nicht die gleiche Aussagekraft für die Beurteilung desInfarktgeschehens wie das frische Material», sagt Maier. Mit ihrer Methode erhalten die Zürcher Kardiologen so eine Momentaufnahme der vielfältigen Prozesse, die zur Zeit des Infarktes zwischen Zellen, Botenstoffen und Gefässwand abgelaufen sind. Werte aus dem Infarktbereich werden daraufhin mit Blutwerten aus der Peripherie des Körpers verglichen. Dies gilt auch für verschiedene Entzündungsmarker wie das CRP. So hoffen die Mediziner, die Bedeutung der Entzündung für den Herzinfarkt bald besser erklären zu können.