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Frau Rolshoven, schauen Sie sich die Spiele der Fussball-EM an?
Rolshoven: Ja, zum Teil schon. Das Spiel Schweiz-Kroatien etwa habe ich mir anlässlich eines Fussball-Podiums an der Universität Neuchâtel angeschaut. Mich interessiert aber nicht nur das Geschehen auf dem Rasen, interessant sind auchdie Reaktionen des Publikums und wie in den Medien über das Thema berichtet wird. Wenn ich mir beispielsweise ein Spiel wie England gegen Frankreich ansehe, habe ich natürlich auch den ganzen historischen Background im Kopf – das nicht ganz unkomplizierte Verhältnis einer ehemaligen Erbfeindschaft zwischen den beiden Ländern.
Für welche Mannschaft schlägt Ihr Herz?
Rolshoven: Für Frankreich. Ich habe in Marseille gelebt und dort den Aufstieg von Olympique Marseille miterlebt. Das hat der Stadt im französischen Süden einen erheblichen Prestigegewinn gebracht – dafür musste man sich begeistern. Im Übrigen gehört Zinedine Zidane meine ganze Sympathie – nationenübergreifend.
Als Volkskundlerin untersuchen Sie, wie Medien und Publikum über Fussball sprechen. Welches Interesse steckt dahinter?
Rolshoven: Wir wollen die diskursiven Zusammenhänge erschliessen. Die Volkskunde hat eine sprachwissenschaftliche Tradition. Es gibt kaum einen Bereich in der Sprache, in dem ein so grosses Laienwissen besteht und gepflegt wird wie im Fussball. Das Fussballgespräch im Alltag ist ein Anlass, miteinander zu kommunizieren. Man kann mit jemandem in Beziehung treten, ein Thema verhandeln und sich im Gespräch als kompetent erweisen. Die Gespräche sind meist von Stereotypen geprägt – der, mit Verlaub, langweilige Schweizer Fussball, der elegante lateinische Fussball und so weiter. Das sind Themen, die auch die Medien teilweise vermitteln. Sie werden vom Publikum dankbar aufgegriffen, weil sie die Kommunikation erleichtern. Andererseits ist zu beobachten, dass Medienschaffende sich zunehmend auch als Kulturwissenschaftler betätigen und die kulturellen Hintergrund der Sportarten thematisieren. Wir leben immer weniger in einer reinen Arbeitsgesellschaft – Bereiche wie Freizeit und Sport werden deshalb immer differenzierter betrachtet und analysiert.
Fussball ist vor allem Männersache: Inwiefern spielt die Geschlechterdifferenz in der Forschung eine Rolle?
Rolshoven: Mein Kollege, der französische Ethnologe Christian Bromberger, hat einmal gesagt: «Vielleicht ist Fussball der letzte gemeinsame Nenner einer weltweiten Männerkultur?» Je schwieriger das Geschlechterverhältnis wird und je mehr Männer unter Druck geraten, desto mehr halten sie sich vielleicht an traditionelle Männerbastionen wie den Fussball. Bis jetzt hat es aber erst wenige Bemühungen gegeben, Fussball als Teil dieser Männerkultur, die für traditionelle, identitätsstiftende männliche Werte wie Körperlichkeit, Stärke, Agressivität steht, zu untersuchen.
Worum dreht sich Ihr heutiger Vortrag «Fussball als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld» an der Universität Zürich?
Rolshoven: Ich beginne mit der Geschichte der Sportkritik, die sehr interessant ist. Sie erlaubt es den Aufstieg des Sports in der Moderne zu verfolgen. Fussball hat frühdas Etikett des Sportvergnügens für die Unterschichten aufgedrückt bekommen. Das hat sich grundlegend geändert: In meinem Vortrag werde ich Ansätze vorstellen, wie man Fussball in der heutigen komplexen Gesellschaft deuten kann. Fussball ist zu einem vielseitigen, auch grenzüberschreitenden Identitätsreservoir geworden: jeder und jede, unabhängig von Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit, kann sich herausgreifen, was er oder sie braucht – spitzfindige Fachsimpeleien etwa oder einen Hauch Erotik.
Wir erleben in den letzten Jahren einen regelrechten Fussball-Hype – was macht das Spiel für vieleso attraktiv?
Rolshoven: Fussball lässt Körperlichkeit und Emotionen zu – zwei Dinge, die im Industrialisierungs- und Zivilisierungsprozess der modernen Gesellschaft verdrängt wurden und die wir schmerzlich vermissen. Das Zeigen von Emotionen, aber auch die Gewaltbereitschaft gehören traditionell zum Fussball. Daher wird ihm meist eine Ventilwirkung zugeschrieben. Zum Thema Gewaltbereitschaft ist im Übrigen zu sagen, dass sie nur einen sehr kleinen Teil der Fussballbegeisterten betrifft. Diese Grössenordnung steht in keinem Verhältnis zum öffentlichen Diskurs und zur Vielzahl an Studien, die Gewalt im Fussball problematisieren.
Auch in der Wissenschaft ist es modisch, über Fussball nachzudenken. Wie interpretieren Sie diesen Trend?
Rolshoven: Das ist frappant, ja. Freizeit und Fun haben einen immer grösseren Stellenwert in der Gesellschaft; sie werden deshalb auch in der Wissenschaft zunehmend salonfähig. Zudem hat in den Geisteswissenschaften eine selbstreflexive Wende stattgefunden: Es ist legitim geworden, die eigene Passion zum Gegenstand zu machen. Man darf und soll auch über das berichten, was einen selbst begeistert. Das ist wissenschaftsgeschichtlich etwas Neues. Vor zwanzig Jahren war das noch nicht erlaubt. Norbert Elias etwa, der eines der ersten Werke zur Sportsoziologie und zum Fussball geschrieben hat, musste seine eigene Fussballpassion noch zwischen den Zeilen verstecken.
Zum Schluss noch: Worauf tippen sie, wer wird Europameister?
Rolshoven: Ich freue mich, wenns jemand wird, dem man es nicht zutraut.