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Eine Reihe von Bastumhängen, wie sie von Indianern des Orinoko-Gebietes getragen wurden, steht in einer hell erleuchteten Schalterhalle – eine Anordnung, die für Candida Höfer wie geschaffen ist. Disparates gelangt in dieser räumlichen Konstellation zur eigentümlichen Überlagerung. Auf einem grünen Marmorboden, aus dem Deckenlampen gleissende Lichtfelder schneiden, treffen handgefertigte Kostüme auf verglaste Bankschalter. Raum und Inhalt, Nutzungsabsicht und Wertsphärenscheinen auseinander zu klaffen. Der Schulterschluss von Kultur und Kapital – hier wird er als bizarre Umarmung sich fremder Welten offenbar. Allerdings enthält sich die Künstlerin jeden Kommentars. Keine Enthüllungsabsicht verbirgt sich hinter den Bildern. Höfer sieht sie als Angebote zur Reflexion. Über Räume und die sie nutzende Gesellschaft, so sagt sie. Die Interpretation überlässt die zurückhaltende Kölnerin der Fantasie des Betrachters. Und wer kann seine Fantasie angesichts fünf Bastkostümen in einer gewienerten Schalterhalle am Zürcher Paradeplatz schon bremsen?
Einer ganzen Reihe solcher Fotografien begegnet, wer ab morgen das Völkerkundemuseum der Universität Zürich betritt. Im ersten Moment glaubt man sich in ein Spiegelkabinett versetzt – Verdoppelungen, wohin man schaut, Hunderte von Museen in einem einzigen, eine Enzyklopädie des völkerkundlichen Museums in all seinen gegenwärtigen Erscheinungsformen. Seit über zwei Jahrzehnten fotografiert Candida Höfer ausschliesslich öffentliche Innenräume. Bibliotheken, Museen, Kulturräume aller Art. In den letzten Jahren hat sie diese Bestandesaufnahme um Bilder aus völkerkundlichen Museen erweitert. Diese in ihrer Mehrzahl unveröffentlichten Arbeiten sind nun in einer auserlesenen, von Susanna Kumschick kuratierten Präsentation in Zürich zu sehen.
Der Rundgang beginnt mit der Schauseite der Museen, wie wir sie kennen – oder eben auch nicht. Immer sind die Ausstellungsräume sonderbar leer, die Menschen abwesend. Stille herrscht. Was bleibt, ist das Abbild einer Gesellschaft und ihres Umgangs mit dem Fremden. Das Ambiente ist aufgeräumt, die Exponate fein säuberlich in Vitrinen gepackt. Wissenschaftliche Methodik, Ideologie und Ästhetik finden sich zur strengen Auslegeordnung vereint. Vorbei geht es an lebensgrossen Trachtenpuppen und schwebenden Buddhas. Dann in die Vortragsräume und Bibliotheken und immer tiefer hinab in den Bauch der Institutionen. Magazine, Werkstätten, Karteikästen und Materialdepots zeigen das Museum als Arbeitsort, wo Gegenstände archiviert, konserviert und inszeniert werden. Eine Welt hinter Glas, die über ureigene, geheimnisvolle Ordnungssysteme verfügt.
Candida Höfer zeigt Museen als Speicherräume des Geistes, deren Eigenheiten sie präzise herausarbeitet. Ihre Fotografien lassen sich als Beitrag zur Geschichte ethnografischer Museen lesen – eine visuelle Ethnografie ethnografischer Sammlungen. Sie werden typologisch geordnet, miteinander verglichen und als Serien präsentiert. Was wie eine nüchterne Bestandesaufnahme aussieht, die einer wissenschaftlichen Dokumentationsweise gleichkommt, ist jedoch das Ergebnis einer konsequenten Bildregie: Alles Beiwerk bleibt ausgeblendet, ungewöhnliche Blickwinkel sind vermieden, diagonale Fluchtlinien bestimmen den Bildaufbau, die Aussenwelt bleibt ausgespart. Dieser Blick wirkt emotionslos, kühl und objektiv.
Höfer, die von 1976 bis 1982 bei Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf Fotografie studierte, hat heute mit ihren konzeptuellen Raumaufnahmen einen festen Platz im internationalen Kunstbetrieb. Spätestens seit der vorletzten Biennale von Venedig, auf der sie Deutschland offiziell vertrat, sprintet Höfer unaufhaltsam in Richtung Olymp der Arrivierten. Ihre Leidenschaft für Räume entdeckte sie vor dreissig Jahren. Eine Porträtserie über Türken in Deutschland hatte sie damals auch in die Innenräume geführt. «Was mich an diesen Räumen beeindruckt hat, war die Ordnung der Dinge und ihr Verhältnis zueinander. Darin liegt für mich auch heute noch die Faszination.» Die Benutzer der Räume spart sie dabei stets aus, «weil sie nur ablenken». In der Abwesenheit spüre man ihre Anwesenheit umso deutlicher.
Dass völkerkundliche Sammlungen heute einen so prominenten Stellenwert im Werk der 60-Jährigen einnehmen, hat seinen Grund ganz wesentlich in der langjährigen Freundschaft zu Professor Michael Oppitz. Der Direktor des Zürcher Völkerkundemuseums hatte Höfer schon 1971 damit beauftragt, für seine Forschung zu Schamanen Objekte in europäischen Museen zu fotografieren. Immer wieder hat Oppitz seither die Beschäftigung Höfers mit Völkerkundemuseen begleitet und ihre Fotografien als visuelle Historiografie dieser Institutionen nutzbar gemacht. Besonders schön ist es deshalb, dass die Arbeiten nun in Zürich zusammengeführt werden.
Vernissage in Anwesenheit der Künstlerin morgen Freitag um 18 Uhr im Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Pelikanstrasse 40. Die Ausstellung dauert bis 15. August. Der Katalog kostet ca. 35 Franken.