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«Seit ich Vater bin, muss ich gewisse medienpädagogische Empfehlungen, von denen ich theoretisch überzeugt war,<überarbeiten>», erzählt der UBS-Habilitationspreis-Träger Daniel Süss mit selbstironischem Unterton. Zum Beispiel die erzieherische Knacknuss Fernsehschauen: Diesbezüglich hätte er seine 4- und 5-jährigen Töchter am liebsten bis zum Kindergarten abstinent gehalten. Die Attraktion der Flimmerkiste war jedoch so stark, dass die Kleinen schon am Morgen gucken wollten. Doch das passte dem Publizistikwissenschaftler und Medienpädagogen nicht. Die Lösung des klassischen Konflikts lag dann darin, dass die Eltern geeignete Kindervideos auswählten und diese vor dem Abendessen «freigeben».
Hat er nie daran gedacht, den Fernseher ganz aus der Wohnung zu verbannen? «Mein Ideal ist, Kinder medienkompetent werden zu lassen», resümiert Daniel Süss. Deshalb kommt für ihn Wegsperren nicht in Frage. «Kinder sollen lernen, bewusst auszuwählen.» Das Gleiche gelte auch für Computer Games. So spielt Daniel Süss' Ältere die Computerspiele «Der kleine Rabe», «Der König der Löwen» und «Goldy».
Soweit die Praxis, kommen wir zur Theorie. Seine Habilitation hat Daniel Süss über die «Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen» geschrieben. Dazu hat er zwischen 1996 und 2002 6- bis 16-Jährige, deren Eltern und Lehrpersonen über ihren Alltag mit Medien befragt. Als Vergleich zog er bestehende Studien seit den siebziger Jahren bei und verglich die Daten ausserdem mit jenen anderer europäischer Länder und der USA, um herauszufinden, wie sich der Umgang mit den Medien verändert hat. Die Befunde wurden zu einer Theorie der Mediensozialisation verdichtet.
Seinen Vortrag zum Erlangen der
Schon in den Siebzigern waren Medien bedeutend für Kinder, erklärt Daniel Süss. Am wichtigsten ist nach wie vor das Fernsehen, es hat sich als Leitmedium gehalten.
Verändert hat sich die Auswahl: Das Angebot wurde grösser. Heute begeistern sich nicht mehr wie in den Siebzigern alle für das Gleiche (für Lassie oder die Familie Feuerstein). Multimediaverbunde bieten die gleiche Geschichte auf unterschiedlichen Medien an (Buch, Film, Video, DVD, Computerspiel), daraus picken sich die Jungen ihre Lieblinge heraus. Paradebeispiel dafür ist Harry Potter.
Die heutigen Jugendlichen sind differenzierte Fans. Nehmen wir als Beispiel die japanischen Comics und Zeichentrickfilme, die derzeit bei Kindern sehr beliebt sind; da ist Manga nicht gleich Manga. Auch bei den Gameboys gibt es Digimon-, Pokemon- und Dragon-Ball-Fans. Die Fan-Untergruppen grenzen sich gerne voneinander ab.
Teenager-Soap-Operas haben bei Jugendlichen hierzulande ebenfalls stark aufgeholt, führt Süss weiter aus. So kennt heute wohl jeder Teenager die deutsche Serie «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» oder US-Soaps «Beverly Hills 90210» und «Melrose Place».
Allgemein lässt sich feststellen, dass einheimisches Schaffen es schwer hat, «exotische»Produktionen liegen bei den Jungen im Trend.
Heute suchen sich Jugendliche meist selbst ihren Weg, wie sie mit Medien umgehen wollen (Selbstsozialisation), und Gleichaltrige werden schneller prägend für den Medienumgang. Auch die Schulen spielen eine grössere Rolle als früher. Bei Jungs sind in den letzten Jahren die Computerspiele wichtig geworden, Mädchen stehen eher aufs Handy.
Auch die «Netzwerke» haben sich streckenweise verändert: So ist für die Vater-Sohn-Beziehung der Computer in den Vordergrund gerückt, die männlichen Familienmitglieder tauschen sich vermehrt über die neusten Games und Computereinstellungen aus. Ein Viertel der Jungs gaben in der Befragung auch an, sie seien am kompetentesten in Sachen Computer - sie werden so zu eigentlichen «Webmastern» in der Familie, erzählt Daniel Süss. Mädchen ziehen das gemeinsame Fernsehschauen vor.
In den letzten Jahren gab es auch in Europa Amokläufe, die von Gewaltmedienkonsum mit inspiriert waren. 2002 zum Beispiel im deutschen Erfurt. Doch trifft die Medien an sich keine «Schuld», erklärt Daniel Süss. Ein Video kann genauso gut prosoziales Verhalten fördern, wie es die Gewaltbereitschaft verstärken kann - je nachdem, in welchem sozialen Umfeld sich der junge Konsument bewegt und wie der Medienkonsum gestaltet ist. Schliesst ein Junge sich gewalttätigen Gruppen an wie Rechtsextremen oder Hooligans und erlebt er in der Familie ebenfalls Gewaltbereitschaft, so kann der Konsum gewaltverherrlichender Videos und Games die Hemmschwelle weiter senken. In den meisten Fällen ist es aber nach wie vor so, dass Eltern am stärksten bei Gewaltdarstellungen intervenieren.
Mit der Habilitation wurde Daniel Süss Privatdozent an der Universität Zürich. Seit drei Jahren ist er bereits Professor an der Hochschule für Angewandte Psychologie, Zürich. Das Fazit seiner bisherigen Forschertätigkeit: «Heute haben Kinder und Jugendliche sowohl mehr Möglichkeiten, sich aus dem breiten Medienangebot ein persönliches Menu zusammenstellen, als auch mehr Risiken, auf problematische Angebote zu stossen.» Die Aufgabe der Eltern wird deshalb darin bestehen, den Kindern und Jugendlichen zu helfen, medienkompetent zu werden. Und selbst als Vorbild zu wirken. Zappen muss man sich dann halt verkneifen, auch wenn’s verlockend ist.