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Die kleine Kammer erinnert an die Zelle eines Mönchs. Zwei Büchergestelle im Bibliotheksformat lassen nur gerade Raum für einen schmalen Schreibtisch und eine bescheidene Ablagefläche. Eine Landkarte Zentralasiens, zusammengeheftet aus mehreren Einzelblättern, bedeckt die einzige unverstellte Wand des Büros. «Sie öffnet mir den Geist und gibt mir ein Gefühl von Freiheit und Weite», sagt Professor Andreas Kaplony vom Orientalischen Seminar der Universität Zürich mit einem Augenzwinkern.
Weite ist nicht nur kennzeichnend für die Seidenstrasse, sondern auch für das Forschungsfeld, das die alten Handelswege eröffnen. «Die Aspekte sind so vielfältig, dass man sie nur im Rahmen einer interdisziplinären Tagung angehen kann», erklärt Kaplony das Zustandekommen der zweitägigen Konferenz. In Dr. Philippe Forêt vom Institut für Kartographie der ETH Zürich hat er einen Verbündeten und in der Hochschulstiftung, der Cogito-Stiftung, der Gerda Henkel-Stiftung und der Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften grosszügige Mäzene gefunden. So wurde es möglich, Fachleute aus Europa, den USA und selbst Usbekistan nach Zürich zu laden, die aus der Perspektive der Sinologie, der Islam- und Religionswissenschaft, der Ethnologie, der Kunstgeschichte, der Geografie und der Wissenschaftsgeschichte auf das Thema zugreifen. Die Referate gliedern sich nach drei Schwerpunkten: Künstlerische Medien und ihr Transfer entlang der Seidenstrasse (Freitag Vormittag), alte Landkarten (Freitag Nachmittag und Samstag Vormittag) und Techniken der Vermessung und Visualisierung von Erde und Kosmos.
Wie unterschiedlich die Konzepte zur Darstellung des Raums sein können, zeigt Andreas Kaplonys Beitrag. In seinem Referat wird er sich mit der ältesten bekannten Landkarte der Seidenstrasse beschäftigen. Sie stammt aus dem Jahr 1177 und ist nur in Form einer späteren Abschrift von 1266 überliefert. Im Gegensatz zu den uns geläufigen Präzisionskarten, die Winkel und Distanzen originalgetreu wiedergeben, handelt es sich dabei um eine illustrierende Karte: Sie bildet Städte, Berge und Flüsse in ihrer räumlichen Beziehung zueinander ab. Nicht etwa, weil man damals in der türkisch-arabisch-islamischen Welt nicht über präzise Vermessungstechniken verfügt hätte. Im Gegenteil erlaubten Astrolabe schon vor tausend Jahren anhand der Sterne die exakte Bestimmung der eigenen Position. Vielmehr liefert die Karte dank ihrer Schematisierung genau diejenigen Informationen, die für ihren Verwendungszweck relevant waren. In diesem Fall die durch gelbe Punkte wiedergegebene Lage aller türkischen Stämme im zentralasiatischen Raum. Dies erklärt sich dadurch, dass das erlesene Stück Papier Teil eines 600 Seiten umfassenden ethnolinguistischen Wörterbuchs war. Mit diesem einen Buch war es möglich, sich im gesamten türkisch beherrschten Raum zu verständigen.
Nach der Faszination alter Landkarten gefragt, zögert Kaplony nicht lange: «Sie sind schön anzuschauen, aber nicht nur das. Ich finde es absolut erstaunlich, wie verschieden man Landschaft strukturieren und darstellen kann. Jede Kultur hat ihren eigenen Umgang mit Bildern – ich will verstehen, wie die Leute damals damit verfahren sind.» Kaplonys Fernziel ist es, eine Methode des kritischen Umgangs mit Bildern zu entwickeln, so wie man sie auch für herkömmliche Quellen in Textform kennt. «Man weiss, wie man aus verschiedenen Texten einen kritischen Text herstellen muss. Bei den Bildern stehen wir da ganz am Anfang. Ziel einer Bildkritik wäre es, aus mehreren späteren Umwandlungen und Kopien eines Motivs auf das Original schliessen zu können.»