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Die Freiheit ist es nicht, was die roten Varis erhalten haben. Aber es ist viel Freiheit. Dreissig Quadratmeter gross war ihr altes Gehege im Kleinaffenhaus, rund 800 Quadratmeter misst nun ihre Insel im Masoala-Regenwald im Zoo Zürich. Das scheint den Halbaffen aus Madagaskar gut zu bekommen, meint Sybille Traber. Die 25-jährige Anthropologie- und Zoologiestudentin hat für ihre Diplomarbeit den Regenwald zu ihrer zweiten Heimat gemacht. Zuerst hat sie im Frühling die Lemurenart im alten Gehege beobachtet, im Sommer dann am neuen Ort in der Masoalahalle, je neunzig Stunden lang. Nicht am Stück, versteht sich, sondern verteilt über jeweils drei Monate. Bei über dreissig Grad und hoher Luftfeuchtigkeit hat sie jede Minute notiert, was passiert. Auch nachts, obwohl Varis als tagaktiv gelten. Doch dazu später.
Man erspäht die roten Varis im Masoala-Regenwald recht gut. Sie haben rotbraunes Fell und dicke schwarze Schwänze. Sie sitzen in den Bäumen jener Inseln, die auch durch die Scheiben der Cafeteria zu sehen ist. Insgesamt sind es sechs Tiere, zwei erwachsene Weibchen und zwei erwachsene Männchen sowie zwei weibliche Jungtiere, die Traber allerdings nicht in ihre Studie aufgenommen hat. Alle sind mehrfach miteinander verwandt, wie das in Zoos häufig der Fall ist. Sie sind Teil eines europäischen Zuchtprogramms für die stark vom Aussterben bedrohte Tierart.
Zwischendurch springen sie mit den langen, kräftigen Hinterbeinen von einem Stamm auf ein Blatt, schaukeln akrobatisch ein paar Mal hin und her und klettern dann weiter. Meistens machen sie aber, was sich in heissen und feuchten Regionen wie Madagaskar geziemt, sie schlafen oder sitzen einfach da, insgesamt rund zwanzig Stunden pro Tag.
Traber ist daran, ihre Resultate auszuwerten. Wichtigste Erkenntnis: Die Varis nützen ihr neues Heim besser aus, obwohl es viel grösser ist. Im alten Gehege nutzten sie nicht mal die Hälfte, im neuen halten sie sich in über zwei Dritteln der Insel auf. «Das könnte mit der Zeit noch zunehmen», glaubt Traber. Tatsächlich haben die Varis ihre Insel auch schon verlassen. Grundsätzlich aktiver sind sie im Masoala-Regenwald aber nicht geworden. Sie schlafen und sitzen immer noch gleich viel. Sie sind allerdings anders aktiv als früher, sie bewegen sich mehr, pflegen dafür ihr Fell viel weniger. Diese Beobachtung korrespondiere mit solchen aus anderen Zoos, sagt Traber. Wurden Gehege vergrössert oder spannender gestaltet, seien diese besser ausgenutzt worden als zuvor.
Der Zoo ist sehr interessiert an der Zusammenarbeit mit den Hochschulen, weil die Forscher viel Zeit und Wissen mitbringen. Im Moment läuft auch ein Gecko-Projekt der ETH im Masoala-Regenwald. Fünf bis sechs Arbeiten entstünden jährlich in Kooperation mit der Universität Zürich, sagt Zoo-Kurator Samuel Furrer. Ziel des Zoos ist möglichst praxisbezogene Forschung, damit die Resultate auch umgesetzt werden können, etwa in der Verbesserung der Tierhaltung.
Traber interessierte sich schon immer für Primaten und ist froh, dass die Primatologie an der Universität Zürich zur Anthropologie zählt. Zu den Halbaffen, die im Gegensatz zu ihren ganzen Halbbrüdern feuchte Nasen haben, hatte Traber bis vor kurzem jedoch kein spezielles Verhältnis. Mit dem Bau der Masoala-Halle ist ihr aber ein spannendes Diplomprojekt in den Schoss gefallen. Gerne würde sie auch einmal in Madagaskar die Varis beobachten. Ob sie dissertieren will, weiss sie noch nicht, zuerst muss sie die Diplomarbeit fertig schreiben. Mühselig sei das. Und sie müsse noch einmal in den Masoala-Regenwald für eine letzte Beobachtung. Traber hat sich mit einer Taschenlampe in der Hand bereits mehrere Nächte in der Halle um die Ohren geschlagen. Einige Lemurenarten sind auch in der Nacht aktiv. Traber wollte wissen, ob die roten Varis auch dazu gehören, denn dies hat noch niemand untersucht. Aber die vier Halbaffen haben keinen Mucks gemacht. Etwas langweilig sei das ja schon gewesen, gibt Traber zu. Nun will sie es noch ein letztes Mal versuchen: «Vielleicht sind die Varis ja nur nachtaktiv, wenn es kühler wird.»