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Ob Radio, Fernsehen, Print oder Internet, die Zahl der Medientitel und mit ihr die Flut von Informationen ist in den letzten Jahrzehnten explosionsartig gestiegen. Von Informationswolken am Medienhimmel, die sich in Datengewittern entladen und uns oft im Regen stehen lassen, sprach gestern Abend in der bis auf den letzten Platz besetzten Aula der Universität Zürich Zentrum ein Vertreter des veranstaltenden Fachvereins Publizistik. Mit dem Überfluss rücken Fragen nach Qualität und Glaubwürdigkeit von Informationen und Medien vermehrt ins Blickfeld. Sie bildeten auch das Zentrum des Podiumsgesprächs zum Thema «Zwischen Wahrheit und Täuschung - lügen uns die Medien an?» Unter der souveränen Leitung des Publizisten Roger de Weck diskutierten die SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr, Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel, der Zürcher Publizistikwissenschaftler Frank Marcinkowski, WoZ-Redaktor Constantin Seibt und der Präsident des Schweizer Presserats Peter Studer.
Ausgangspunkt für die Diskussion war die gestrige Meldung, in der Gesamtredaktion des Tages Anzeiger würden 38 Stellen gestrichen. «Lässt sich der Qualitätsjournalismus in Zukunft noch finanzieren?», fragte Roger de Weck in die Runde. Dass Personalabbau nicht für Qualität sorgen kann, darüber waren sich die Gesprächsteilnehmer einig. «Entlassungen sind das erst beste Mittel, auf die Krise zu reagieren», meinte Medienwissenschaftler Marcinkowski, «das ist aber eine kurzsichtige Strategie, denn letztendlich bürgen die Journalisten für die Qualität eines Mediums.» Weltwoche-Chef Roger Köppel stimmte die Aussage, mehr Journalisten würden automatisch zu besserer Qualität führen, skeptisch. Schlussendlich sei die Kostenwahrheit massgebend, meinte er. Eine Redaktion in der Grösse des Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» sei in der Schweiz schlicht nicht finanzierbar. Zur eigenen, immer wieder von aussen kritisierten Personalpolitik wollte Köppel nicht Stellung nehmen.
Constantin Seibt erklärte, für Qualitätsverbesserungen in den Medien sei vor allem die Teppichetage verantwortlich. Der Journalismus als solcher sei eine Frage der Leidenschaft und Zeitungen würden von Neugierigen gemacht. Ironisch fügte Seibt hinzu: «Wir sind im Fiktionsbusiness tätig, wir erzählen Geschichten die vielleicht auch auf Fakten beruhen.» Peter Studer stimmten die Entlassungen beim Tages Anzeiger nachdenklich - er selbst hatte als Chefredaktor zwischen 1978 und 1987 die Geschicke des Blattes bestimmt. Der Tages Anzeiger habe den radikalen Rückwärtsgang eingelegt. Beispielsweise sei der Medienbund gestrichen worden. Studer: «Das Blatt fällt als medienpolitischer Partner seither praktisch aus.»
Hat der Stellenabbau und der erhöhte wirtschaftliche Druck Einfluss auf die Arbeit der Journalisten? Einen Qualitätsverlust sehe sie bislang nicht, meinte Politikerin Jacqueline Fehr, Journalismus habe sehr viel mit dem Charakter und dem Selbstverständnis der einzelnen Personen zu tun. Sie beobachte aber schon, dass Journalistinnen und Journalisten aus Bequemlichkeit oder Routine es oftmals unterlassen, Hintergründe und Zusammenhänge zu beleuchten. Es stelle sich auch die Frage, für welche journalistischen Inhalte und Konzepte sich die Medienunternehmen einsetzten.
Bei eben dieser inhaltlichen und konzeptuellen Ausrichtung von Medientiteln stellteRoger de Weck einen Trend zum Irrelevanten und zur Ökonomisierung der Strategien fest: PR hat zunehmend Einfluss, das Netz der Auslandkorrespondenten wird abgebaut, ebenso der investigative Journalismus, dafür werden Lifestyle-Rubriken, sogar bei der WoZ, ausgebaut - vermehrt spricht man auch nicht mehr von journalistischen Inhalten, sondern, gesichtslos, vom Content. «Im Sinne des Content ist Verona Feldbusch meine Kollegin», mokierte sich de Weck.
Wie steht es nun also um die Glaubwürdigkeit? Ein Siegeszug des Irrelevanten lasse sich nicht bestätigen, sagte Frank Marcinkowski. In Fernsehen und Rundfunk gebe es seit den 1980er-Jahren Boulevard-Sendungen, seither hätten sich die Privaten wieder vermehrt politischen Inhalten zugewendet und die öffentlich-rechtlichen Sender hätten regelrechte Info-Offensiven geritten. Auch zahlenmässig lasse sich ein Glauwürdigkeitsverlust nicht belegen: Laut einer Umfrage hätten 85 Prozent der Nutzer grosses Vertrauen in die Medien, diese seien immer noch eines der zentralen Orientierungsinstrumente der Gesellschaft. Auch Peter Studer wollte nicht pessimistisch sein: Seit den 1960-er Jahren sei die Professionalität im Journalismus stetig gewachsen, meinte er. Und: «Mit Glaubwürdigkeitsverlust haben nicht nur die Medien zu kämpfen, sondern auch die Kirche und die Wirtschaft.»
Glaubwürdigkeit sei für ihn ein entscheidendes Kriterium, sagte Roger Köppel. Allerdings stehe ein Wochentitel wie die Weltwoche im Gegensatz zu Tageszeitungen vor einem erhöhten Kreativitätszwang. «Wir müssen zuspitzen, ohne unglaubwürdig zu werden», sagte er. «Stimmen muss es dennoch, Herr Köppel», wendete darauf Peter Studer ein und bezog sich auf einen vom Schweizer Presserat gerügten Artikel, der in der Weltwoche erschienen ist.
Gegen Ende des Gesprächs stellte Publizistikwissenschaftler Marcinkowski fest, man habe es in der Diskussion verpasst, den Titel der Veranstaltung zu entmystifizieren. «Medien können keine Wahrheiten produzieren», sagte er, «das ist Aufgabe der Wissenschaft.» Medien hätten die Funktion, Beobachtungen öffentlich zu machen. Marcinkowski: «Ich will erkennen können, nach welchen Kriterien sie die Wirklichkeit beschreiben.» Roger de Weck widersprach dem vehement «Darf man von den Medien keine Erkenntnis erwarten?», fragte er und antwortete gleich selbst: «Medien sind Instrumente der Aufklärung, dieser Anspruch darf nicht aufgegeben werden.» Im Krieg gegen den Irak hätten die US-Berichterstatter beispielsweise diesen Auftrag nicht wahrgenommen.