Navigation auf uzh.ch
«Beziehungspflege und Pflegebeziehungen im Alter» - so lautete das Motto der vierten Ausgabe des Zürcher Gerontologietages an der Universität Zürich. Fachleute aus Soziologie, Psychologie und Medizin diskutierten gemeinsam die Rolle, die soziale Beziehungen in der Pflege betagter Menschen in Zukunft spielen. Ein Thema, das reichlich Zündstoff bietet. Denn geht man davon aus, dass mit der steigenden Lebenserwartung auch die Pflegebedürftigkeit betagter Menschen in gleicher Weise zunimmt, steht unser Gesundheitssystem vor einer Zerreissprobe. Versorgungsprobleme und Prämienschock scheinen vorprogrammiert. Wie, lautete deshalb die brisante Frage, ist den Folgen der demografischen Alterung Herr zu werden? Liegt die Lösung in einer noch stärkeren Verlagerung der Pflege- und Betreuungsaufgaben in den Verantwortungsbereich der Familie? Bedarf es vermehrt einer professionellen ambulanten Betreuung? Oder sind einfache präventive Massnahmen ausreichend, um die Situation zu entschärfen? Kommt es überhaupt zu einem massiven Anstieg der Pflegebedürftigkeit im Alter, wie allenthalben befürchtet wird?
Nein, meinte Prof. Dr. François Höpflinger in seinem Referat. Der Lehrbeauftragte für Soziologie in Zürich erteilte der These eine klare Absage, wonach ein höheres Alter - bis zum Jahr 2060 ist ein Anstieg um sieben Jahre denkbar - automatisch auch mehr Krankheit bedeutet. Auf der Basis demografischer Szenarien geht er davon aus, dass die Zunahme der Lebenserwartung mit einer deutlichen Zunahme der behinderungsfreien Jahre verknüpft sein wird. Wir werden also nicht nur länger leben, sondern vor allem länger gesund leben - so lautet Höpflingers optimistisch stimmende Prognose. Er wies darauf hin, dass mit geeigneten Massnahmen in der Gesundheitsförderung, der Prävention, der Rehabilitation und Therapie die Zunahme an pflegebedürftigen Menschen weiter drastisch gesenkt werden kann.
Genaue Prognosen sind für die Planung im Gesundheitswesen von zentraler Bedeutung. Das befanden auch die Fachgutachter. Sie hatten über die Vergabe des Vontobel-Preises zu entscheiden, mit 35'000 Franken einer der höchst dotierten im Bereich der Altersforschung. Nach der Begrüssung durch den Rektor der Universität, Prof. Dr. Hans Weder, wurden die Auszeichnungen überreicht. Der erste Preis ging an Höpflinger und seiner Mitarbeiterin Valérie Hugentobler für die Arbeit «Pflegebedürftigkeit in der Schweiz - Prognosen und Szenarien für das 21. Jahrhundert». Die Studie greife eine hoch relevante Fragestellung auf und liefere wissenschaftlich fundierte Prognosen, begründete Prof. Dr. Mike Martin, Lehrstuhlinhaber für Gerontopsychologie in Zürich, den Entscheid der Jury. Mit dem zweiten Preis geehrt wurden ex aequo Dr. Matthias Kliegel für die Arbeit «Komplexe prospektive Gedächtnisleistung - Alterseffekte und zugrunde liegende Mechanismen» sowie Dr. Kerstin Albrecht und Sandra Oppikofer für die Arbeit «Das Projekt ‚more’... - Wohlbefinden und soziale Kompetenz durch Freiwilligentätigkeit».
Mit dem ersten Preis wurde nicht nur eine ausserordentliche Forschungsleistung gewürdigt, sondern auch eine mehrjährige Aufbauarbeit. Höpflinger gründete 1998 das «Universitäre Institut Alter und Generationen» (INAG) in Sion mit dem Ziel, der Altersforschung zu einer dauerhaften Plattform zu verhelfen. Sie soll dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den Generationen in einer rasch wandelnden soziopolitischen Umwelt zu verstehen und zu verbessern. Die preisgekrönte Arbeit ist die jüngste Frucht dieses neuen Kompetenzzentrums. Höpflinger und Hugentobler sehen den Preis als wichtige Anerkennung und als Motivation, ihre bisherige Arbeit fortzuführen.
Dass sich Altersforschung und Humor nicht gegenseitig ausschliessen, bewies Höpflinger am Nachmittag mit einem satirischen Intermezzo. Er rief den Tagungsteilnehmern ins Bewusstsein, dass auch die Beziehung zum Steueramt eine wesentliche, da besonders stabile Pflegebeziehung darstelle. Von der Wiege bis zur Bahre und sogar darüber hinaus bemühe sich das Steueramt intensiv um die finanzielle Verjüngung seiner Bürger. Jedes Jahr könne man wieder bei null anfangen.